Debatte

Warum die SPD mehr direkte Demokratie wagen will

Die SPD will die Demokratie in Deutschland weiterentwickeln: Sie setzt auf mehr Bürgerbeteiligung. Aus guten Gründen, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci.
von Lars Castellucci · 28. Februar 2017
Abstimmung mit Stimmzetteln
Abstimmung mit Stimmzetteln

Einer der sozialdemokratischen Verfassungsväter, Carlo Schmid, berichtet in seinen lesenswerten „Erinnerungen“ von einer Begegnung mit Konrad Adenauer. Der Altkanzler offenbarte darin eine Haltung, an der man noch heute einen wesentlichen Unterschied zwischen links und rechts erkennen kann. Adenauer sagte: „Was uns beide unterscheidet: Sie glauben an den Menschen, ich glaube nicht an den Menschen und habe nie an den Menschen geglaubt.“

Sozialdemokratie geht nur emanzipativ

Wer den Menschen unabhängig von Herkunft, Bildungsstand oder Geschlecht die gleiche Würde zuerkennt, der setzt sich auch für gleiche Rechte ein. Deshalb hat die Arbeiterbewegung das gleiche Wahlrecht für alle erkämpft gegen die Konservativen, die an einer ständischen Ordnung festhielten. Irrtümer, Enttäuschungen, schlimmste Erfahrungen inbegriffen: Sozialdemokratie geht nur emanzipativ. Sie glaubt an den Menschen, sie gibt nicht auf, sie will immer eine nächste Chance.
 
Wer des Kaisers Volk von Analphabeten zutraute, eine Wahl für sich zu treffen, wird das den Menschen nach der Bildungsexpansion der vergangenen Jahrzehnte erst Recht nicht absprechen können. Dem wachsenden Populismus unserer Tage müssen wir also mit Haltung begegnen, nicht mit Angst.

Direkte Demokratie: Sogar die EU ist weiter als Deutschland

Die SPD ist seit Langem dafür, die bewährte repräsentative Demokratie im Bund durch direkte Demokratie zu ergänzen. Weil wir den Wunsch der Menschen in Deutschland nach stärkerer politischer Beteiligung erfüllen wollen. Weil wir den Menschen in Deutschland zutrauen, aufgeklärte politische Entscheidungen zu treffen. Weil wir das bewährte demokratische System weiterentwickeln wollen. Deshalb haben wir bereits im Jahr 2002 zusammen mit dem damaligen Koalitionspartner einen Gesetzentwurf zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in den Deutschen Bundestag zur Abstimmung eingebracht. Im Jahr 2013 hatten wir einen weiteren Versuch unternommen. Aber es fehlte immer an einer Zweidrittel-Mehrheit im Deutschen Bundestag, die eine Änderung des Grundgesetzes erfordert. Die öffentlich vertretenen Gründe für die Ablehnung sind vielfältig. Meist geht es um Details. Klar ist: Wäre ein Wille da, gäbe es auch einen Weg.
 
Die Europäische Union hat den direktdemokratischen Weg bereits gefunden. Obwohl ihr immer wieder ein demokratisches Defizit vorgeworfen wird, ist sie an dieser Stelle weiter als die deutsche Bundesebene. Die Europäische Bürgerinitiative ermöglicht den Menschen in der Europäischen Union, selber eine politische Initiative vorzuschlagen. Sie ist ein Instrument, um Politik zu gestalten, nicht um Politik zu verhindern. Ihre Einführung wurde im Jahr 2010 auch von CDU-Abgeordneten unterstützt. Vor diesem Hintergrund sollte es machbar sein, nach der Bundestagswahl 2017 eine Zweidrittel-Mehrheit im Deutschen Bundestag zu bekommen, damit als erster Schritt das Recht zu Volksinitiativen auf Bundesebene im Grundgesetz verankert wird. Es würde den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland einen lange gehegten Wunsch erfüllen. Der Umstand, dass die AfD sich für direkte Demokratie einsetzt, spricht jedenfalls nicht dagegen. Unsere Forderung bleibt richtig.
 
Die SPD ist Demokratiepartei: die Arbeiterschaft hat die Demokratie erkämpft, wir haben das Wahlrecht für Frauen durchgesetzt, wir haben Demokratie immer gegen ihre Feinde verteidigt, wir haben mit Willy Brandt mehr Demokratie gewagt. Das bleibt unser Auftrag.

Autor*in
Lars Castellucci

Prof. Dr. Lars Castellucci ist stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion.

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