Warum die Renten wieder steigen müssen
In dieser Legislaturperiode ist rentenpolitisch ein bemerkenswerter Wandel eingetreten. Stand lange Zeit die Entwicklung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung im Vordergrund, sind durch das Rentenpaket 2014 wieder Leistungsverbesserungen umgesetzt worden. Mehr noch: Aktuell wird wieder über das Rentenniveau diskutiert, über die zentrale Maßzahl, die das Verhältnis von Renten und Löhnen beschreibt. Das ist auch dringend notwendig. Denn durch die rot-grüne Regierung wurde 2001 und 2004 die Rentenanpassungsformel, die die jährliche Rentenanpassung regelt, dergestalt geändert, dass ein Absinken des Rentenniveaus die Folge ist. Das Rentenniveau (genauer: das Nettorentenniveau vor Steuern) ist von 52,6 Prozent (2001) auf 47,9 Prozent (2016) gesunken.
Schädigung des „Standortes Deutschland“
Hintergrund der damaligen Entscheidungen war die Annahme, dass ein steigender Beitragssatz zu höheren Lohnnebenkosten und damit zu einer Schädigung des „Standortes Deutschland“ führen würde. Außerdem wurde auf die Finanzmärkte gesetzt: Das sinkende Rentenniveau sollte durch kapitalgedeckte private und betriebliche Vorsorge ausgeglichen werden. Angesichts der ernüchternden Erfahrungen mit dem sogenannten Mehr-Säulen-Modell der Alterssicherung ist es nun geboten, die erste Säule, also die umlagefinanzierte Rentenversicherung wieder in den Mittelpunkt zu stellen.
Zentraler Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Stabilisierung und Anhebung des Rentenniveaus. Davon profitieren aktuelle wie künftige Rentnerinnen und Rentner. Es ist klar, dass das perspektivisch auch mit höheren Beitragssätzen verbunden ist. Dabei ist aber zu bedenken: Der Beitragssatz liegt derzeit ein gutes Stück unter den Prognosen, die noch vor wenigen Jahren gemacht wurden; das verweist auf die Arbeitsmarkt- und Lohnentwicklung als Basis der Sozialversicherung und damit auch auf politische Handlungsspielräume. Zudem zeigt das Beispiel Österreich, dass höhere Renten auf Grundlage höherer Beitragssätze die Wirtschaft nicht übermäßig belasten.
Wie hoch ist eine gute Rente?
Letztlich braucht es eine gesellschaftliche Verständigung darüber, wie hoch angemessene Renten nach einem langen Erwerbsleben und auch Sorgearbeit sein sollen. Eine erneute Debatte über ein höheres Renteneintrittsalter lenkt dagegen von der wichtigen Frage nach den Leistungen des Systems ab. Wenn das Versprechen auf gute und sichere Renten ernst gemeint ist und überzeugend vertreten wird, lassen sich auch höhere Beiträge rechtfertigen. Beiträge, mit denen viele nicht mehr die Hoffnung auf angemessene Gegenleistungen verbinden, führen dagegen zur Legitimationskrise des Sozialstaates.
Der notwendige Fokus auf das Leistungsniveau sollte nicht weitere Reformmöglichkeiten und Baustellen verdecken: die Weiterentwicklung zur Erwerbstätigenversicherung (wie ebenfalls in Österreich realisiert) sowie die Frage, welche Maßnahmen des sozialen Ausgleiches (sachgerecht finanziert) in der gesetzlichen Rentenversicherung gestärkt werden müssen – hier ist insbesondere an die Absicherung bei länger andauernder Arbeitslosigkeit zu denken.
ist Referatsleiter Sozialpolitik am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung