Warum Deutschland mehr Umverteilung braucht
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Das Ergebnis ist deutlich. Vier von fünf Deutschen sind davon überzeugt, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland mittlerweile zu groß ist. Das geht aus einer repräsentativen Befragung des Meinungsforschungsinstituts TNS Infratest im Rahmen der Studie „Die Zukunft des Wohlfahrtsstaats“ der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hervor. Sie wurde am Montag in Berlin vorgestellt. 49 Prozent der 2000 Befragten waren demnach „voll und ganz“ der Ansicht, die soziale Ungleichheit sei zu groß, 33 Prozent gaben an, „tendenziell“ dieser Auffassung zu sein.
Unterschiede gibt es bei der regionalen und der sozialen Herkunft. So stimmen Ostdeutsche der Aussage in deutlich stärkerem Maße uneingeschränkt zu als Westdeutsche (59 gegenüber 46 Prozent). Vor allem aber zeigt sich bei der uneingeschränkten Zustimmung ein deutlicher Zusammenhang mit der eigenen Schichteinstufung: So stimmen vier von fünf Angehörigen der „Unterschicht“ (79 Prozent) der These voll und ganz zu, aber „nur“ vier von zehn der „Ober- und oberen Mittelschicht“ (38 Prozent).
Ungleichheit schadet der wirtschaftlichen Entwicklung
Welche Folgen hat diese wachsende Ungleichheit in Deutschland? Auch hierauf gibt die Studie der FES eine repräsetative Antwort. So teilen drei von vier Wahlberechtigten (76 Prozent) die Auffassung, dass das Ausmaß der sozialen Ungleichheit langfristig der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland schadet. Bislang hatte eher die Meinung von Ökonomen vorgeherrscht, Ungleichheit wirke als „Wachstumsmotor“, weil sie Wachstums- und Investitionsanreize biete.
Wie aber kann die Ungleichheit in Deutschland wirksam bekämpft werden? Die eindeutige Antwort der FES-Studie lautet Umverteilung. Als besonders geeignetes Mittel sehen vier von fünf Befragten eine steuerliche Entlastung der mittleren und unteren Einkommen (83 Prozent). Auch höhere Steuern für Privatpersonen mit hohem Einkommen oder großen Vermögen finden drei Viertel (76 Prozent) hilfreich, um soziale Unterschiede zu verringern. Und mehr als zwei Drittel der Befragten teilen die Auffassung, dass eine stärkere Anhebung von Löhnen und Gehältern (72 Prozent) beziehungsweise des gesetzlichen Mindestlohns (71 Prozent) einen Beitrag dazu leisten kann.
Das Vertrauen in den Wohlfahrtsstaat ist erschüttert
Das Vertrauen in die staatlichen Systeme, diese Umverteilung auch zu leisten, ist jedoch erschüttert. Zwar gaben sechs von zehn Befragten an, uneingeschränkt (19 Prozent) oder zumindest tendenziell (41 Prozent) der Auffassung zu sein, dass wohlfahrtsstaatliche Leistungen wie Arbeitslosen-, Sozial-, Kranken- und Rentenversicherung zumindest einer (noch) stärkeren gesellschaftlichen Ungleichheit entgegenwirken. Knapp vier von zehn Wahlberechtigten äußerten aber mehr oder weniger deutliche Kritik an der Leistungsfähigkeit der Sozialsysteme und zeigten sich mit Blick die Umverteilung eher (30 Prozent) oder sogar sehr (7 Prozent) skeptisch.
„Die Menschen wünschen sich einen starken, effizienten und innovativen Wohlfahrtsstaat“, ist Andrä Gärber, Abteilungsleiter Wirtschafts- und Sozialpolitik der FES, überzeugt. Die Sorge um die wachsende Ungleichheit und ihre negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung fordere die Politik heraus. Als Maßnahmen empfiehlt Gärber u.a. eine „stärkere Tarifbindung, das Stopfen von Steuer-Schlupflöchern, eine angemessene Besteuerung von leistungslosem Einkommen, mehr Investitionen in Bildung sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf“.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.