Warum der Kohleausstieg nicht von heute auf morgen gelingt
Florian Gaertner/photothek.net
Wenn Oldag Caspar über die Geschehnisse im vergangenen Februar spricht, dann hört er sich noch immer verwundert an. Damals wurden an einzelnen Tagen am Nordpol höhere Temperaturen gemessen als in Berlin. Für ihn ist klar: „Der Klimawandel verstärkt sich mehr als erwartet.“ Das Problem rücke deswegen zunehmend in den Fokus der Politik.
Ganze Regionen betroffen
„Viele Länder bemerken, dass die Weise, wie wir gelebt und gewirtschaftet haben, nicht mehr funktioniert“, sagt Caspar, der sich bei der Umweltorganisation Germanwatch mit Klimapolitik beschäftigt. Es nähere sich ein „Bruch“, auf den ein Wandel folgen werde. Dieser Bruch werde jedoch die Regionen betreffen, die vom Kohlebergbau leben.
Wie lässt sich eine solche Transformation erfolgreich umsetzen? Diese Frage stand im Zentrum der Podiumsdiskussion „Wie weiter mit der Kohle?“ in Berlin, die von der Europäischen Akademie Berlin sowie der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde veranstaltet wurde.
Ideelle Bedeutung
„Energieeffizienz und der Umstieg auf Erneuerbare Energien rentieren sich“, sagt Timon Wehnert vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, doch bei der Energiewende gebe es Gewinner und Verlierer. Zu Letzteren zählt er die Menschen und die Gemeinden in den Kohleregionen. Der Umstieg sei daher auch mit einer sozialen Frage verbunden. Es gehe darum, wie die Gewinne aus der Energiewende verteilt werden. Und natürlich sei dieser Veränderungsprozess für die Menschen schmerzhaft.
Timon Wehnert hebt hervor, dass die Kohlegewinnung eine soziale sowie eine ideelle Bedeutung habe. Der Kohlebergbau – etwa im Ruhrgebiet oder im Lausitzer Braunkohlerevier – sei einst Symbol des wirtschaftlichen Aufstiegs und des Fortschritts gewesen. Deswegen sei es schwierig, plötzlich aus der Kohle auszusteigen. Als Beispiel nennt Timon Wehnert das Ruhrgebiet. Der Kohlebergbau sei längst nicht mehr rentabel gewesen, trotzdem seien jahrelang Milliardensubventionen geflossen, bis schließlich eine Zeche nach der anderen schließen musste. Im Jahr 1957 verdienten 750.000 Menschen im Kohlebergbau ihr Brot, gegenwärtig sind es 20.000 Menschen.
Schreckgespenst AfD
Wichtig für den Strukturwandel sei eine klare Zielsetzung für das, was nach dem Kohleausstieg in der betroffenen Region entstehen soll. Außerdem empfiehlt Wehnert Planungssicherheit für die Firmen und die Arbeitnehmer. So seien bei einem Kohleausstieg 2030 beispielsweise vor allem die heute 35-Jährigen betroffen. In 20 Jahren würden sie vermutlich keinen neuen Arbeitsplatz mehr finden. „Diese Schwierigkeiten lassen sich abpuffern, doch dafür brauche ich vorher einen Plan“, betont Wehnert.
Oldag Caspar von Germanwatch ergänzt, dass der Strukturwandel sozialverträglich gestaltet werden müsse, „sonst gewinnt nur die AfD in diesen Regionen“. Für eine erfolgreiche Transformation müsse außerdem Geld investiert werden. Erhalten sollen es Gemeinden, mittelständische Firmen sowie Arbeitnehmer in Form von Umschulungen sowie Rentenzahlungen.
Internationale Zusammenarbeit
Caspar rechnet damit, dass sich Deutschland bis zum Jahr 2030 von der Kohle verabschiedet habe, auch wenn einzelne Kraftwerke noch als Reserve vorhanden sein könnten. Zu diesem Zeitpunkt seien die Erneuerbaren Energien vermutlich auch schon billiger als Kohlekraftwerke.
Eines ist für Caspar allerdings sicher: „Deutschland kann die Energiewende nicht allein bewältigen.“ Der Klimawandel sei schließlich ein globales Problem. Die Energiewende könne nur in Zusammenarbeit mit anderen Ländern gelingen. Positiv überrascht war er von der Pariser Klimakonferenz 2015. Dort habe er neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den Ländern erlebt. Deswegen plädiert Oldag Caspar auch für mehr Erfahrungsaustausch mit den Staaten, die ebenfalls aus der Kohle aussteigen wollen.