Debatte

Warum das bedingungslose Grundeinkommen nicht funktionieren kann

Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) fasziniert viele Menschen. Es ist vor allem ein Traum derer, die das kapitalistische System grundlegend verändern wollen. Die Idee hat aber einen Grundfehler: Einkommen kann es nicht ohne Produktion geben.
von Heiner Flassbeck · 23. März 2017
Hokuspokus Grundeinkommen: Einkommen und Produktion kann man nicht voneinander trennen.
Hokuspokus Grundeinkommen: Einkommen und Produktion kann man nicht voneinander trennen.

Die meisten Menschen verdienen ein Einkommen am Markt, indem sie ihre Arbeitskraft für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen verkaufen. Andere erhalten ein Einkommen vom Staat, weil sie – aus welchen Gründen auch immer - selbst nicht in der Lage sind, ein Einkommen am Markt zu verdienen. Tertium non datur, ein Drittes gibt es nicht. Alle sonstigen Zahlungen, die Menschen an Menschen leisten, sind daraus abgeleitet. Auch der Zins, der vom Investor für Kredite gezahlt wird und die Basis für jede Art von Zinseinkommen ist, wird durch die Produktion von Gütern und Dienstleistungen verdient, wenn die Investition erfolgreich war. Gibt es keine ausreichende Investitionstätigkeit, verschwindet, wie es derzeit zu beobachten ist, auch der Zins.

Es gibt kein Einkommen ohne Produktion

Einkommen und Produktion kann man folglich nicht trennen. Es gibt auf Dauer das eine nicht ohne das andere. Selbst wenn der Staat – wie wir das hier befürworten – einmal mit aus dem Nichts geschaffenen Geld eine Stockung bei der Entstehung von Einkommen überwindet, ändert das nichts daran, dass die Einkommen, die nach Überwindung der Rezession gezahlt werden, wieder von der Produktion gedeckt sein müssen.

Aus genau diesem guten Grund werden in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die Entstehung (also die Produktion) auf der einen Seite und die Verteilung (also die Aufteilung der Ergebnisse der Produktion) und die Verwendung des Einkommens (also die Nachfrageseite) auf der anderen Seite als zwei Seiten der gleichen Medaille betrachtet. Nominale Einkommenszuwächse, die nicht eine Entsprechung in der Produktion haben, werden in der Regel über Preissteigerungen (also Inflation) zu realen Einkommenszuwächsen gemacht, die wieder mit dem Tempo der Produktionszunahme übereinstimmen.

BGE-Befürworter wollen grundlegende Logiken außer Kraft setzen

Diese einfache und grundlegende Logik außer Kraft zu setzen, haben sich sehr viele Menschen auf die Fahnen geschrieben, indem sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen eintreten. Die Motive dahinter sind in der Regel aller Ehren wert, doch die besten Motive können leider grundlegende Zusammenhänge nicht außer Kraft setzen.

Wie man diese Zusammenhänge in der Debatte um das BGE häufig einfach ausschaltet, ist durchaus beeindruckend. Ich habe vor kurzem in eine Diskussion hineingehört (hier), bei der die beiden Advokaten des BGE (Ronald Blaschke und Daniel Häni) genau in dem Augenblick die Diskussion abbrachen, als es um die Frage ging, wie das Grundeinkommen finanziert werden sollte, was ja nichts anderes ist als die Frage, wie man Produktion und Einkommen zusammenbekommt. Daniel Häni, obwohl er sich schon formal mit der Begründung verabschiedet hatte, er wolle nicht über „bestimmte Modelle“ des BGE diskutieren, ließ sich dann doch noch dazu herab, zu sagen, woher das Einkommen für das Grundeinkommen kommen soll.

Jeder verfügt schon über ein Grundeinkommen – aber es ist nicht bedingungslos

Er sagte sinngemäß, das Einkommen sei ja schon da, praktisch jeder verfüge über ein Grundeinkommen, es ginge jetzt nur darum, einen Teil des vorhandenen Einkommens „bedingungslos“ zu machen. Das aber ist genau die Trennung von Produktion und Einkommen, die es auf längere Sicht nicht geben kann. Denn wenn ein Teil des Einkommens, sagen wir ein Drittel, der bisher an die Bedingung der Mitarbeit bei der Produktion geknüpft wurde (und auch nur wegen der erfolgreichen Produktion bezahlt werden konnte), nun bedingungslos wird, wieso ist dann das Niveau der Produktion genau so wie vorher gegeben?

Nehmen wir die beiden Extreme, die logisch möglich sind. Nehmen wir an, die meisten Menschen entscheiden sich, nachdem ihnen das Angebot mit dem bedingungslosen Grundeinkommen (woher das auch immer kommen mag, dazu weiter unten mehr) beispielsweise in Höhe von einem Drittel des durchschnittlichen Einkommens der Volkswirtschaft gemacht wurde, dafür, ihre Arbeitszeit genau um ein Drittel zu reduzieren. Dann arbeiten sie zwar ein Drittel weniger, aber ihr Einkommen bleibt trotzdem genau gleich. Das ist nichts anderes als ein riesiger Schritt in Sachen (freiwilliger) Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Ein Schritt, wohlgemerkt, vor dessen Dimension auch die größten Anhänger der Arbeitszeitverkürzung erschauern.

Wie reagieren die Menschen?

In diesem Fall steigt das Einkommen pro Stunde (das Grundeinkommen ist natürlich eingerechnet) um ein Drittel, die Produktivität pro Stunde bleibt aber unverändert, weil die ausgefallene Arbeitskraft (selbst dann, wenn man unrealistischer Weise annimmt, dass die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen und die Produktion insgesamt konstant bleiben) ja nicht über Nacht durch Maschinen ersetzt werden kann.

Die Lohnstückkosten steigen und damit – wie wir immer wieder gezeigt haben (zuletzt hier) – steigt die Inflationsrate. Ein erheblicher Teil des nominalen Einkommenszuwachses pro Arbeitsstunde wird dadurch entwertet. Man kann das auch von der Produktionsseite her sehen: Die Produktion fällt realistischer Weise um ein Drittel, die Einkommen insgesamt bleiben aber gleich. Das kann wiederum nur durch Inflation ausgeglichen werden.

Wundersame Vermehrung der Einkommen würde Inflation hervorrufen

Das andere Extrem ist, dass fast alle Menschen sich entschließen, ganz normal weiterzuarbeiten. Dann würden sie ihr normales Gehalt bekommen und ein Grundeinkommen obendrauf. Unabhängig von der Frage, woher das Grundeinkommen käme und von wem es gezahlt wird, ist es offensichtlich, dass auch hier die wundersame Vermehrung der Einkommen bei unveränderter Produktion Inflation hervorrufen müsste.

Zwischen den beiden Extremen kann man sich viele mögliche Fälle ausdenken, keiner ändert aber etwas an dem grundlegenden Problem: Es wird zu wenig gearbeitet oder zu viel verdient. Wenn allerdings einige Menschen weniger arbeiten und gleich viel (nominal) verdienen, kann man sich ausmalen, was diejenigen dazu sagen, die gleich viel wie vorher arbeiten, sich aber durch die Inflation um ihr Verdienst (bzw. um ihr Grundeinkommen) gebracht sehen.

Für das Grundeinkommen müssten mehr Steuern erhoben werden

Dennoch kann es ein Grundeinkommen ohne Inflation geben. Das geht aber nur, und das ist zwingend, wenn es das Ergebnis staatlicher Umverteilung ist und diese Umverteilung auch allgemein akzeptiert wird, also vor allem nicht von den Unternehmen zum Anlass genommen wird, die Preise zu erhöhen. Versuchte man etwa, das BGE über höhere Mehrwertsteuer zu finanzieren, ist der Ausgang sofort wieder Inflation, weil die höheren Steuern zu einem erheblichen Teil von den Unternehmen weitergegeben werden können. Die folgen für die Verteilung wären fatal. Wie der Staat die Umverteilung bewerkstelligen soll, ohne Gegenreaktionen auszulösen, ist eine vollkommen offene Frage.

Man muss sich ja vorstellen, dass bei einem BGE von etwa 1000 Euro (es gibt auch Vorschläge bis zu 1500 Euro) der Staat für die aufzubringenden 800 Milliarden zusätzlich mehr als ein zweites Steueraufkommen braucht (heute liegt das Steueraufkommen bei etwa 700 Milliarden). Zwar fallen bei den meisten BGE-Modellen keine Sozialleistungen mehr beim Staat an, aber der Staat erhält auch keine Sozialversicherungsbeiträge mehr, was sich etwa ausgleicht, da die gesamte Sozialversicherung ein etwa ausgeglichenes Budget hat (mehr dazu in dem Buch „Irrweg Grundeinkommen“, das ich vor einigen Jahren mit einigen Kollegen geschrieben habe, hier zu finden).

Die negativen Folgen des BGE nicht ausblenden

Wie der Staat das Steueraufkommen verdoppeln kann, ohne dass das inflationäre Wirkungen hat, weil mächtige Gruppen wie die Unternehmen das über die Preise weitergeben, ist kaum vorstellbar. Auch die Umverteilungswirkungen dürften so sein wie bei allen Steuerrechtsänderungen der letzten Jahrzehnte. Es gewinnen diejenigen, die große politische und wirtschaftliche Macht haben. Wer verhindern will, dass am Ende die Reichen kalt lächelnd das Grundeinkommen kassieren, das von den Armen aufgebracht wurde, muss sich intensiv und detailliert Gedanken über die Verteilungswirkungen verschiedener Arten der Finanzierung durch den Staat machen.

Zu all diesen Fragen muss man eine klare und nachvollziehbare Position haben, wenn man das BGE verantwortungsvoll vertreten will. Diese Fragen nicht zu beantworten, sich aber an den positiven Folgen des BGE zu berauschen, ist Hokuspokus. Wer solchen Hokuspokus bei gesellschaftlichen Fragen verbreitet und vielen Menschen damit eine Hoffnung verschafft, die nur enttäuscht werden kann, handelt verantwortungslos.

Höhere Löhne und kürzere Arbeitszeit

P: S.: In jüngster Zeit werden immer häufiger (hier vom Chef der Telekom, aber auch Yanis Varoufakis ist beispielsweise mit diesem Argument auf Tournee) die technische Revolution und in deren Gefolge ein Mangel an Arbeitsplätzen als Begründung für BGE Modelle angeführt. Das ist aus vielen Gründen abwegig, die ich an anderer Stelle aufgeführt habe (hier der letzte Teil einer kleinen Serie vom Anfang des Jahres dazu). Sollte eines Tages die Produktivität wieder stärker steigen, kann und sollte man die Löhne erhöhen.

Auch die Arbeitszeit kann man in kleinen Schritten verringern, wenn – wie Friederike Spiecker und ich hier und in vielen diesem Aufsatz folgenden Beiträgen gezeigt haben – das damit verbundene Nachfrageproblem gelöst werden kann. Es ist übrigens auch falsch, davon zu sprechen, wie das in dem oben verlinkten Podcast gesagt wird, Deutschland habe mit seiner hohen Produktivität „Südeuropa an die Wand gedrückt“. Es war keineswegs die Produktivität, sondern das deutsche Lohndumping, das Europa in die Krise getrieben hat.

Der Text erscheint mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift „Makroskop“.

Autor*in
Heiner Flassbeck

ist Wirtschaftswissenschaftler und war von 1998 bis 1999 Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er ist Mitherausgeber der Online-Zeitschrift „Makroskop“.

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