Debatte

Über die Vorzüge einer Bezahlkultur im Internet

Die Freunde der Gratiskultur im Netz wollen keine Neudefinition der Beziehung zwischen Künstler und Konsument, sie wollen das, was man technisch am einfachsten kostenlos bekommt. Gäbe es übers Internet Brötchen umsonst, würden sie ein Loblied auf die Freiheit der Brötchen singen – und die Bäcker würden das Urheberrecht stärken.
von Tanja Dückers · 8. Oktober 2014
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Eigentlich weiß jeder Mensch: weil etwas immateriell ist, ist es weder wertlos noch ein Gratisartikel. Schon seit dem 19. Jahrhundert gibt es daher das Immaterialgüterrecht, die Theorie vom geistigen Eigentum wiederum entstand in Zusammenhang mit dem Nachdruck von Büchern. Man war also schon mal weiter als heute. Denn in der derzeitigen Debatte um die Urheberrechte sind Aussagen wie „Kunst kann doch jeder machen“, „Kunst setzt sich aus Ideen zusammen, die in der Luft liegen, was ist daran individuell?“ oder „Das Denken gehört allen, Kunst und Kultur sollte daher kostenfrei für jedermann zugänglich sein“ zu hören. Zunächst: Natürlich sind die Gedanken frei. Niemand kann und darf das Monopol auf das Wort „Liebe“ erheben, so etwas tut auch niemand. Aber wenn ich eine Liebesgeschichte schreibe, wenn ich Allgemeingut in eine individuelle Sprache übersetze und eigene Figuren kreiere, dann verdient meine Geschichte sehr wohl den Schutz eines Urheberrechts.

Brötchen gibt es auch nicht gratis im Internet

Die trendige Vorstellung, dass Wissen, Kunst und Kultur auf einmal gratis zu haben sein sollten, hat zwar durchaus sympathisch-anarchistische Züge, ist aber völlig naiv-kommunistisch gedacht in einer bis in die feinsten Kapillaren kapitalistisch ausgerichteten Gesellschaft. Noch wichtiger als Kunst und Kultur sind Grundnahrungsmittel und ein Dach über dem Kopf. Nichts davon gibt in unserer Gesellschaft gratis. Es ist klar: Für die Freunde der Gratiskultur im Netz geht es nicht wirklich um eine Neudefinition der Beziehung von Künstler und Konsument, sondern um das, was man technisch am einfachsten kostenfrei akquirieren kann. Gäbe es übers Internet Brötchen umsonst, würden sie ein Loblied auf die Freiheit der Brötchen singen.

Die Sprache des Netzes rekurriert dabei romantisierend auf alte Zeiten, so dass der Diebstahl geistigen Eigentums wie ein Kavaliersdelikt wirkt: Begriffe wie „Tauschbörse“ und „Mit Freunden teilen“ klingen nett. Früher hat man für zwei, drei Freunde eine Mixkassette oder ein paar kopierte Kurzgeschichten zusammengestellt, heute aber kann man seine files mit Hunderttausenden von „Freunden“ sharen. Mit den alten Begriffen werden vollkommen neue Sachverhalte bezeichnet.

Die Crowd als feudaler Mäzen, der die Inhalte bestimmt

Die Vorstellung, dass ein Schriftsteller doch froh sein sollte, wenn sein Werk im Netz Aufmerksamkeit findet, ist völlig am Schöpfer vorbeigedacht: Für absolute beginners mag es noch reizvoll sein, nur ein Forum, eine Bühne, aber kein Einkommen zu haben. Doch in keinem Berufsfeld würde man an einen Profi herantreten mit Worten wie: „Hören Sie mal, wenn Sie mir dieses Implantat umsonst einsetzen, sag’ ich das meinen Freunden weiter und vielleicht zahlt irgendwer mal was.“ Wovon, bitte, sollen die Künstler, wenn nicht von ihrer Arbeit, leben? Wollen wir wirklich ein neofeudales Mäzenatentum, also unfreie Schriftsteller, die im Auftrag und abhängig von ihren Gönnern (User, die mit Klicks – Micropayment – Zustimmung verteilen oder via Crowdfunding dem Autor Geld spenden) Kunst produzieren? Für die Freiheit der Kunst würde dies ein Rückschritt in mittelalterliche Verhältnisse bedeuten.

Wenig nachvollziehbar ist auch die Vorstellung, die „Verwerter“ (wie Verlage) seien per se die schwarzen Schafe im System. Auch wenn man über eine Novellierung der Honorarverteilung von Künstlern und Verwertern zugunsten der Künstler reden sollte: Offenbar haben viele Menschen keine Vorstellung davon, wie viel Arbeit etwa ein Verlag für einen Autor erledigt. Ein Schriftsteller kann nur dann in Ruhe schreiben, wenn er nicht auch noch für die Pressearbeit verantwortlich sein muss, Lesereisen organisieren, Übersetzungen und Lizenzen akquirieren, Reisebüro spielen, Cover gestalten und als sein eigener Lektor fungieren muss. Mehrfach wurde ich zu meiner Überraschung auf Podien zum Thema Urheberrecht darauf angesprochen, ob ein Autor denn wirklich einen Lektor benötigen würde. Lektoren haben einen maßgeblichen Anteil an der Qualität der in ihrem Verlag publizierten Bücher, und jeder Autor, der ehrlich ist, wird dies zugeben.

Die Verleger trifft Häme, Google und Facebook nicht

Dem Lektor fällt die schwierige und undankbare Aufgabe zu, einen Autor auf die Schwachstellen seines Manuskripts aufmerksam zu machen und diese auszubügeln. Auch wenn man die Beziehung von Verlagen zu ihren Autoren nicht romantisieren sollte (natürlich gibt es Verlage, die ihre Autoren schlecht bezahlen und sich zu wenig um sie kümmern): insgesamt entspringt die Vorstellung, Verlage als „böse Verwerter“ seien weitgehend überflüssig, großer Unkenntnis der schriftstellerischen Arbeit. Wenn schon so gegen die Verwerter Front gemacht wird, fragt man sich, warum die Mega-Internetunternehmen, die wirklich im großen Stil absahnen, keine Häme trifft. Facebook, Google und Youtube werden von den Netzaktivisten nicht angegriffen. Was haben diese neoliberal agierenden Riesenunternehmen bitte mit anarchistischem Gedankengut zu tun?

Infolge der teilweise berechtigten Kritik am bestehenden Urheberrecht müssen in jedem Fall Alternativ-Bezahlungsmodelle für Netzinhalte von Künstlern geprüft werden. Denn langfristig wird es nicht möglich sein, Urheberrechte noch, wie in analogen Zeiten, über die Anzahl von Kopien durchsetzen zu wollen. In einem (digitalen) Zeitalter, in dem Original und Kopie identisch sind und oft über eine gleich gute Qualität verfügen (anders als in den 80er Jahren, als es knisternde Mixkassetten und gruselige Kopien gab), kann man diese Grenze nicht mehr ziehen. Hinzu kommt die technische und moralische Unmöglichkeit, jeden einzelnen Rechner hinsichtlich seines Datenstroms zu kontrollieren. Man wird nicht umhin kommen, eine wie auch immer geartete Pauschalvergütung einzuführen. Als Schriftstellerin kann ich nur hoffen, dass dabei langfristig nicht doch die Crowd mir vorschreibt, was ich zu Papier zu bringen habe. Und dass Verlage mir weiterhin einen Großteil der literaturbetrieblichen Arbeit abnehmen können. Denn Schriftsteller haben meist keine Lust (und auch kein Talent), sich den lieben langen Tag selbst zu vermarkten anstatt sich der Lust des Erfindens hinzugeben.

Autor*in
Tanja Dückers

ist Schriftstellerin und Journalistin.

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