Debatte

Streitgespräch Rente: Leben die Alten auf Kosten der Jungen?

Reden wir zu viel über Renten und zu wenig über Kinderarmut? Im vorwärts-Gespräch diskutieren Wolfgang Gründinger und Ursula Engelen-Kefer, wie man beim Thema Altersvorsorge einen Konflikt zwischen den Generationen vermeiden kann.
von Vera Rosigkeit · 24. November 2016

Beim Thema Rente geht es auch um die Frage der Generationengerechtigkeit. Leben die Alten auf Kosten der Jungen?

Gründinger: Die Altersarmut liegt heute bei etwa drei Prozent und wird bis zum Jahr 2030 im schlimmsten Fall auf fünf Prozent steigen. Im Vergleich dazu sind heute über 18 Prozent aller Kinder von Armut betroffen. Da frage ich mich, warum wir über Rente und nicht über Kinderarmut, eine bessere Kinderbetreuung und über Familienpolitik diskutieren? Als Beispiel: Von den 160 Milliarden Euro, die das Rentenpaket mindestens kosten wird, könnte man ganz Deutschland zweimal mit Glaserfasern verkabeln und hätte immer noch genügend Geld, um Erzieher und Altenpfleger besser zu bezahlen und die Qualität der Kitas zu verbessern. Dagegen geht es den meisten Alten ziemlich gut, die Altersarmut ist beinahe besiegt.

Engelen-Kefer: Da muss ich einhaken. Die Alterarmut ist nicht besiegt, im Gegenteil. Nach amtlichen Berichten ist sie im Anstieg begriffen und wird in Zukunft auch mittlere Einkommen treffen. Wir haben zusätzlich eine verschämte Altersarmut. Es gibt viele Rentner, die auf die Möglichkeit Grundsicherung zu beantragen verzichten und sich lieber bescheiden, als den Gang zum Sozialamt anzutreten. In den letzten 10 Jahren hatten wir bei den Renten einen Kaufkraftverlust von 20 Prozent. Denn Riesterfaktor und Nachhaltigkeitsfaktor führen zum Absenken des Rentenniveaus und der Rentenleistung. Das wird in Zukunft besonders die jüngere Generation treffen. Deshalb warne ich auch davor, dass wir uns bei dieser Diskussion in den Konflikt treiben lassen, dass die Alten auf Kosten der Jungen leben. Wir vergessen dabei, dass es bei diesem Konflikt um den der Verteilung von Geld und Macht in unserer Gesellschaft geht.

Gründinger: Heute sind Geld und Macht ungleich verteilt zugunsten der Älteren.

Engelen-Kefer: Nein, es ist zugunsten der privaten Wirtschaft verteilt. Nehmen wir als Beispiel die Riester-Rente: Da wurde auf Kosten der jüngeren Generation die Altersvorsorge verschlechtert zugunsten der Finanzbranche, die einen großen Teil des Geldes missbräuchlich verwendet hat.

Gründinger: Was die Riester-Rente angeht, stimme ich zu. Wir haben damals mit der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen einen Sarg um den Reichstag getragen und damit gegen ihre Einführung demonstriert. Denn wenn die junge Generation im Jahr 2030 wie vorgesehen 22 Prozent des Gehalts in die Gesetzliche Rentenkasse zahlen muss und die vier Prozent für Riester dazu kommen, liegen wir bei einem Beitragssatz von 26 Prozent. Das ist eine Belastung für die junge Generation.

Engelen-Kefer: Ja, und zwar eine, die der Arbeitnehmer alleine trägt, denn der Arbeitgeber zahlt für Riester nicht.

Müssen wir mehr für junge Menschen tun?

Gründinger: Ja, denn unser Rentensystem hängt maßgeblich davon ab, was die junge Generation einzahlen kann und wie leistungsfähig sie ist. Deshalb müssen wir mehr Geld in Kitas und Bildung investieren. Nicht nur um die Qualität von Erziehung und Bildung zu verbessern, sondern auch, um das Personal in diesem Bereich viel besser zu bezahlen. Nur mit der besten Bildung kann die junge Generation die wachsenden Kosten für Rente, Pflege und Gesundheit stemmen.

Engelen-Kefer: Es gibt gar keinen Grund, warum die Tätigkeiten, die Dienste am Menschen sind, in Deutschland so schlecht bezahlt werden. Das ist in den skandinavischen Ländern anders: da sind auch in den Pflegeberufen nicht nur die Gehälter besser, sondern auch Arbeitsbedingungen und Betreuungsschlüssel sowieso die Durchlässigkeit nach oben. Da können wir viel lernen von einer gerechteren Bewertung von Tätigkeiten. Das spielt auch für die Tarifpolitik eine Rolle. Wir brauchen einfach mehr Frauen in den Tarifkommissionen.

Gründinger: Ja – und mehr junge Leute. Denn es gibt nicht nur den Gender Pay Gap, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, sondern auch den Generation Pay Gap, die Lohnlücke zwischen den Jungen und Alten. Diese intergenerationelle Ungleichheit zwischen den Löhnen hat sich in den letzten 30 Jahren von 11 auf 25 Prozent erhöht. Das liegt nicht nur am Senioritätsprinzip, sondern auch daran, dass sich prekäre Arbeit, Mindestlohnsektor und Leiharbeit ausgeweitet haben und diese vor allem junge Menschen betreffen.

Engelen-Kefer: Da stimme ich zu. Und die Renten sind die Fortsetzung des Einkommens. Und gerade die zukünftige Verschlechterung im Rentenniveau wird die jüngere Generation treffen. Wir haben eine dramatische Zunahme prekärer Beschäftigung in Deutschland. Gerade junge Leute werden oft ohne sachlichen Grund befristet eingestellt, oder  arbeiten in Leiharbeit oder über Werkverträge, mit allen Verschlechterungen, die das mit sich bringt. Nahezu ein Viertel aller beschäftigten Frauen in Deutschland arbeiten in Minijobs ohne Sozialversicherung. Das muss gesetzlich korrigiert werden.

Was können wir dafür tun, dass die junge Generation ihre Interessen besser wahrnimmt?

Gründinger: Das ist zahlenmäßig eine sehr kleine Generation. Und es ist eine Generation, die mit der Ansage aufgewachsen ist, mache was du kannst, aber gebe dich mit wenig zufrieden, denn es gibt nicht viel. Deshalb fordere ich Tarifparteien und Gesetzgeber auf, ihre Lohnverhandlungen viel stärker für junge Beschäftigte zu machen. Nehmen wir den Mindestlohn: Warum gilt der erst ab 18 Jahre? Warum ist die Arbeit eines Siebzehnjährigen weniger wert? Warum gibt man so wenig Geld aus für junge Menschen? Es gibt viele Dinge, an denen man schrauben könnte – wichtig ist, die junge Generation viel aktiver zu integrieren, bei den Parteien, bei den Gewerkschaften und in der Lohnpolitik, die eine ganz andere werden muss.

Engelen-Kefer: Aber bitte nicht als Generationenkonflikt betrachten, dass die Alten zu viel haben, was den Jungen fehlt, sondern das dies eine Frage der gesamtwirtschaftlichen Verteilung ist. Wir haben eine große Zunahme an privatem Reichtum bei immer Wenigeren und Defizite bei der öffentlichen Daseinsvorsorge, weil das Geld in falsche Kanäle fließt. Bei der Rentenreform geht es um die künftigen Leistungen der jungen Generation. Wir brauchen eine Stabilisierung unserer solidarischen Sicherungssysteme.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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