So kann ein Grundeinkommen Europa aus der Krise helfen
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Wozu brauchen wir ein „Europäisches Grundeinkommen“? Ist das nicht ein zu ehrgeiziges Projekt? Wäre es nicht zielführender, ein Grundeinkommen auf nationaler Ebene anzustreben, das dann Vorbild für andere Länder werden kann? Wer so argumentiert, übersieht, dass die sozialen und politischen Rahmenbedingungen in Europa sich gerade dramatisch verändern.
Grundeinkommen als Ausweg aus der Krise
Dabei geht es um weit mehr als zu bürokratische und politisch ohnmächtige europäische Institutionen. Mit der griechischen Krise, der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa, der Flüchtlingskrise und den daraus resultierenden Stimmenzuwachs rechtsextremer Parteien und auch mit dem drohenden Austritt Großbritanniens aus der EU stellt sich die grundsätzliche Frage: Was wird aus Europa? Ist Europa noch zu retten?
Aber auch: Kann vor diesem Hintergrund die Einführung eines „nationalen“ Grundeinkommens noch das vordringliche politische Ziel sein? Wird das Grundeinkommen nicht vielmehr unversehens ein Mittel - unter anderen - zu eben diesem umfassenderen und dringlicheren Zweck, Europa zu retten? Konkret und positver formuliert: Kann nicht die Perspektive eines garantierten Grundeinkommens, finanziert mittels eines europaweit vereinheitlichten, effektiveren und gerechteren Steuersystems dazu beitragen, einen Ausweg aus den aktuellen europäischen Dilemmata zu weisen?
Vorbild soziale Sicherung
Ein Blick in die Geschichte zeigt Beispiele für die Verwirklichung von kühnen sozialen Reformideen, die den Menschen zu ihrer Zeit völlig utopisch erschienen, deren Konsequenzen gleichwohl historische Bedeutung erlangt haben und heute nicht mehr wegzudenken sind. Wer in Europa würde sich etwa ein Leben ohne Krankenkasse und Sozialleistungen zurückwünschen, Errungenschaften, zu denen die Sozialdemokratie so viel beigetragen hat. Braucht Europa also einen neuen Bismarck, der es verstünde, das Grundeinkommen ins Kalkül seiner Machtpolitik einzubauen? Ohne das beharrliche Engagement der den sozialen Fortschritt fordernden Menschen wäre freilich auch ein Bismarck kaum für seine Reformen zu motivieren gewesen. Setzen wir also doch lieber auf die Menschen, die nicht länger bereit sind, zum Himmel schreiende Skandale hinzunehmen.
Ein dreifacher gravierender „Skandal“ blockiert derzeit die Entwicklung eines sozial wie ökologisch erstrebenswerten Europas.
(1) Die doppelte Schere zwischen Arm und Reich, die zwischen armen und reichen Menschen und die zwischen armen und reichen Ländern,
(2) Die Hilflosigkeit der politischen Entscheider angesichts realer ökonomischer und ökologischer Herausforderungen,
(3) Die Gefährdung des historisch einzigartigen europäischen Einigungsprojektes durch die für all dies verantwortliche globale Finanzelite.
Es gibt keine Alternative zu Europa
Skandal Nr.1 muss nicht mehr bewiesen werden. Zu lange schon haben die Menschen sich daran gewöhnt. Auch Skandal Nr. 2 und 3 werden immer evidenter für alle, die genau hinschauen. Im Widerspruch zu der von Rechtspopulisten und „BREXIT“-Befürwortern aufgebauten Drohkulisse lautet die vierte These:
(4) Nur die Fortführung des europäischen Einigungsprojekts, verknüpft mit konsequenten ökonomischen, sozialökologischen und fiskalischen Reformen, kann europaweit Frieden, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit garantieren.
Ideen für entsprechende ehrgeizige Reformen gibt es zur Genüge.
Beispielhaft sei auf Bewegungen wie die zur Unterstützung einer „Gemeinwohlökonomie“, einer „Vollgeldreform“ oder eben auch des bedingungslosen Grundeinkommens hingewiesen; alle sind derzeit im Begriff, sich auf europäischer Ebene zu organisieren. Es ist an der Zeit, sich dafür einzusetzen, dass diese Bewegungen untereinander den Schulterschluss suchen, statt vordringlich auf die eigene Profilierung bedacht zu sein. Der Grundeinkommensbewegung kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, denn ohne Gewährleistung sozialer Sicherheit werden die Menschen nicht mehr für die europäische Idee zu begeistern sein.
war Hochschullehrer für Erziehungswissenschaften am Fachbereich Soziale Arbeit der Fachhochschule (später Hochschule für Angewandte Wissenschaften) Hamburg