Sippel: „Wir müssen endlich erwachsen werden!“
Birgit Sippel, wie stehen Sie zu den jüngsten Äußerungen von Richard Grenell, der nach eigenem Bekunden die konservativen Kräfte stärken und als US-Botschafter in Deutschland den österreichischen Kanzler in Berlin empfangen will?
Birgit Sippel: Ich finde das Verhalten von US-Botschafter Grenell schlicht unerträglich. Es ist nicht die Aufgabe eines Botschafters, parteipolitisch Position zu beziehen.
Er hätte den österreichischen Kanzler nicht in das Land, in dem er als Diplomat tätig ist, einladen dürfen.
Indem er dies tut, stellt er sich auf eine Stufe mit Autokraten wie dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan – also mit Politikern, die ihre Ideologie exportieren wollen.
Welche Konsequenzen halten Sie für angemessen?
Ich würde begrüßen, wenn nicht nur eine Abmahnung erfolgen würde, sondern wenn ein anderer Botschafter geschickt würde. Unter den derzeitigen Bedingungen ist keine vertrauensvolle Zusammenarbeit mehr möglich.
Ich glaube allerdings nicht, dass dies passiert. Die Konservativen in Deutschland halten sich in der Debatte um Grenell bemerkenswert zurück, vermutlich in der Hoffnung, dass sie von Erfahrungen der
Trump-Administration in anstehenden Wahlkämpfen profitieren können. Aus meiner Sicht ist dies für die Demokratie in Deutschland mindestens so inakzeptabel wie das Verhalten des US-Botschafters.
Welche Perspektiven sehen Sie für die Zusammenarbeit zwischen EU und USA – derzeit, aber auch längerfristig?
Europa muss sich endlich als globaler Akteur emanzipieren. Derzeit schwankt die EU zwischen Ablehnung und einer fast schon übertriebenen Zuwendung gegenüber den USA.
Die EU muss eine stärker eigenständige Rolle auf der weltpolitischen Bühne einnehmen. Sie sollte nicht dieselben Fehler machen wie die USA, etwa zu denken, man könne mit militärischen Mitteln eigene Interessen durchsetzen.
Die Friedensmacht Europa muss sich selbstbewusst auf ihre ureigene Rolle als Friedensmacht besinnen und ihre Eigenständigkeit beweisen. Sie muss in erster Linie friedlich und diplomatisch agieren, Krisen frühzeitig begegnen und stets alles tun, sie ohne militärische Drohungen beizulegen – ohne immer eine „Genehmigung“ von den USA einzuholen.
Wir müssen – und das sage nicht nur ich – endlich erwachsen werden. Wir können uns derzeit nicht auf die USA als Partner verlassen können.
Wir müssen jetzt eine neue Rolle finden – und langfristig unsere Eigenständigkeit beibehalten. Dann können wir unsere Erfahrungen, wie in Europa Frieden geschaffen wurde, erfolgreich auch in andere Regionen der Welt exportieren.
Birgit Sippel (SPD) ist Sprecherin der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres.