Persönliche Patenschaften für Flüchtlingsfamilien übernehmen
Wohl jeder ist entsetzt darüber, dass unser Mittelmeer, mit seinen gerade auch bei deutschen Urlaubern bewunderten Traumstränden, immer mehr zum Meer des Todes wird. Die täglichen Meldungen über ertrunkene Menschen, die vergeblich versuchten, nach Europa zu kommen, schockieren. Zugleich freuen wir uns über die Meldungen über die Geretteten – mal sind es hunderte, mal tausende –, die von den kaputten Seelenverkäufern auf den sicheren Boden Italiens gebracht werden konnten. Aber wir wissen auch: Helfen, die Menschen vor dem Ertrinken zu retten, ist das erste Gebot. Wer das nicht bejaht, soll bitte nie wieder über Menschenrechte reden. Um die geht es hier.
Was aber ist dann? Nach der Rettung muss die Hilfe doch weitergehen. Die Geretteten brauchen Hoffnung, Zukunft, ein Leben in Würde. Italien und die übrigen Mittelmeerländer können das allein nicht schaffen; auch die anderen Länder der EU stehen in der Pflicht. Wie schwer so etwas ist, sehen wir jeden Tag.
Zu wenig Hilfe
Deutschland beteiligt sich bisher durchaus. Allerdings nicht genug, denn ein Leben in Würde und die Einhaltung der Menschenrechte verlangen nicht nur schöne Worte wie „Willkommenskultur“. Obwohl die natürlich wichtig ist. Ganz praktisch brauchen die Flüchtlinge Wohnungen, Arbeitsmöglichkeiten, Schulen für die Kinder, Anerkennung von bisher erworbenen beruflichen Kenntnissen, Hilfen beim Eingewöhnen und auch Geld für die Behandlung der vielen Traumata und Krankheiten, die mit der Flucht und ihren schrecklichen Erfahrungen verbunden sind.
Diese Probleme können nicht allein von Bundesregierung und Bundestag bewältigt werden, die freilich mehr tun müssen, um endlich die nötigen Gesetzesänderungen zu beschließen und die nötigen Mittel bereitzustellen. Das ist überfällig, denn die bürokratischen Regelungen blockieren den Neuanfang in vielen Fällen; heute haben nicht einmal die bestehenden Traumazentren ausreichend Geld, um weiter behandeln zu können. Obwohl doch jeder weiß, wie unverzichtbar nötig gerade diese Behandlungen sind. Insgesamt ist die Distanz zwischen gut klingenden Worten und fehlenden Taten riesig. Leider. Es ist auch bekannt, dass endlich die ebenso unwürdige wie ineffiziente Asyl-Bürokratie so umgestaltet werden muss, dass sie der Forderung nach Menschenwürde gerecht wird. Auch die Landkreise und Städte, die heute unter schwierigen Bedingungen häufig vieles möglich machen, brauchen mehr Unterstützung.
Bürger müssen sich einschalten
Täglich wird deutlicher, dass Integration nur zu schaffen ist, wenn wir, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, uns auch individuell mehr und nachdrücklicher einschalten. Viele tun das, viel mehr als vor Jahren. Aber es reicht noch nicht. Deshalb die Forderung nach Engagement, die sich nicht an die Asylkreise oder an kirchliche Gemeinden richtet, die sich häufig schon heute kümmern. Ich meine, dass gerade wir Sozialdemokraten mit unseren vielen Ortsvereinen aufgerufen sind, durch persönliche Patenschaften für Flüchtlingsfamilien, Alleinstehende oder junge Leute unseren Beitrag zu leisten. Das kann man organisieren, das kann helfen.
Bisher spreche ich nur vom heutigen Flüchtlingselend. Neben den Menschen, die sich schon auf den Weg nach Europa gemacht haben, gibt es gerade in Afrika und Arabien Millionen verzweifelter Menschen in den riesigen Flüchtlingslagern von Darfur bis Libanon. Bürgerkriege, die Fanatiker vom IS, aber auch die falsche neoliberale Wirtschafts- und Handelspolitik, der Klimawandel und korrupte Regierungen heizen Konflikte weiter an. Unsere Politik spricht mit Recht von der Bekämpfung von Fluchtursachen, zieht jedoch kaum Folgerungen aus dieser Erkenntnis. Zu viele wirtschaftliche Interessen scheinen bisher wichtiger: Ohne eine gravierende Änderung der Rüstungs-, Waffenexport-, aber auch der Wirtschafts- und Handelspolitik werden jedoch auch Entwicklungshilfe und gute Worte ins Leere laufen. Kurz: Die Rechnung für die Fehler auf diesen Gebieten bekommt auch Europa durch die steigenden Flüchtlingszahlen zu spüren.
war stellvertretende Vorsitzende der SPD und Bundesministerin der Justiz. Sie gehörte von 1972 bis 2009 dem Deutschen Bundestag an.