Debatte

Österreichs Renten: Warum private Vorsorge keine Lösung ist

Davon können deutsche Rentner auch in Zukunft nur träumen: 80 Prozent vom Durchschnittsverdienst als Rente aus der öffentlichen Kasse. Anstatt auf private Vorsorge setzt Österreich auf das bewährte Umlagesystem. Warum das gut ist, erklärt Erik Türk von der Arbeiterkammer Wien im Interview.
von Vera Rosigkeit · 5. Dezember 2016
Gute Absicherung im Alter: Österreich setzt auf das öffentliche System, private Vorsorge ist Nebensache.
Gute Absicherung im Alter: Österreich setzt auf das öffentliche System, private Vorsorge ist Nebensache.

Von einem Rentenniveau von 80 Prozent kann man in Deutschland nur träumen. Wie kann sich Österreich so hohe Renten leisten?

Das österreichische Rentensystem ist umfassend reformiert worden, letztlich aber in eine deutlich andere Richtung als in Deutschland. Anstatt auf kapitalgedeckte private und betriebliche Vorsorge zu setzen, liegt der Fokus bei der Lebensstandardsicherung durch die Rentenversicherung.

Im Unterschied zu Deutschland erhält ein Rentner in Österreich 80 Prozent vom Durchschnittsverdienst bei einer abschlagfreien Rente zum Regelalter 65 nach 45 Jahren. Die Berechnung erfolgt auf der Basis eines Modellverlaufes ähnlich dem des „deutschen Durchschnittsrentners“. Das Niveau für einen solchen „Idealverlauf" muss relativ hoch liegen, damit für reale Versicherungsverläufe, die in der Regel vom Durchschnitt abweichen, eine gute Absicherung herauskommt.

Welche Berufsgruppen sind versichert?

Grundsätzlich alle Erwerbstätigen mit einem Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze (rund 416 Euro monatlich), auch neuere Formen wie „freie Dienstnehmer“ oder „Neue Selbständige“. Das hat durchaus wichtige Effekte. So werden Versicherungslücken unwahrscheinlicher, was sich auch positiv auf die Rentenniveaus auswirkt. Gleichzeitig geht eine breite Einbindung auch mit einer breiteren Finanzierungsbasis einher. Die Gruppe der Versicherten umfasst auch Arbeitslose, Krankengeldbezieher, Kinder Betreuende, Zivil- und Präsenzdiener etc. sowie freiwillig Versicherte.

Wie hoch sind die Beiträge?

In der Rentenversicherung der Arbeitnehmer beträgt der Beitragssatz seit 1988 22,8 Prozent. Davon zahlen Arbeitgeber 12,55 Prozent, Arbeitnehmer 10,25 Prozent. Für Selbständige sind es 18,5 Prozent, für Bauern 17 Prozent, Die Differenz zu den 22,8 Prozent wird durch einen gesonderten Bundeszuschuss aus Steuermittel gedeckt.

Für Schwerarbeiter gibt es eine besondere Regelung. Wie sieht die aus?

Personen mit zumindest 45 Versicherungsjahren können – sofern sie in den letzten 20 Jahren vor Renteneintritt zumindest 10 Jahre als Schwerarbeiter gearbeitet haben – bereits ab 60 mit niedrigen Abschlägen eine Rente beziehen. Diese Regelung zielt auf Personen ab, die bereits nach der Pflichtschule zu arbeiten begonnen haben und (noch) im fortgeschrittenen Erwerbsalter Schwerarbeit verrichten.

In Deutschland wird aktuell erneut ein höheres Renteneintrittsalter empfohlen, um die Auswirkungen des demografischen Wandels abzufedern. In Österreich geht man weiterhin mit 65 ohne Abschläge in Pension. Gibt es bei Ihnen eine ähnliche Diskussion?

Empfehlungen in Richtung Erhöhung des Regelalters kommen ja regelmäßig etwa von der EU-Kommission, das hat auch Auswirkungen auf die österreichische Diskussion. Von Arbeitgeberseite und der ÖVP wird vor allem eine raschere Angleichung des Rentenalters für Frauen gefordert. Das Regelalter 65 steht aber letztlich nicht zur Disposition und es besteht ein breiter Konsens, das es vor allem um die Anhebung des effektiven Renteneintrittsalters geht.

Auch sollte das Rentenalter im Hinblick auf den demografischen Wandel nicht überstrapaziert werden, denn es ist nur eine, wenn auch wichtige Stellschraube. Ebenso wichtig sind eine bessere Erwerbsintegration über gesamte Erwerbsleben sowie gute und faire Erwerbseinkommen.  

Angesprochen sind hier wesentliche Themen wie Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, Minijobs und Niedrigeinkommen, Erwerbschancen von Personen mit Betreuungspflichten etc. Auch in Österreich und Deutschland bestehen hier erhebliche Verbesserungspotentiale mit entsprechend positiven Effekten auf Rentenniveaus und Finanzierung.

Wie bewerten Sie die in Deutschland üblichen kapitalgedeckten Altersvorsorgeformen?

Ich halte die Weichenstellung in Richtung teilweisen Ersatz der Rentenversicherung durch kapitalgedeckte private und betriebliche Vorsorge für eine politische Fehlentscheidung. Die Darstellung, alternsbedingt steigende Kosten ließen sich nur durch mehr Kapitaldeckung statt durch umlagefinanzierte Renten bewerkstelligen, ist falsch. Die bloße Neugewichtung der Finanzierung führt vor allem zu einer Neuverteilung der in der Regel dann steigenden Gesamtkosten und Risiken.

Was würden Sie in der aktuellen Rentendebatte in Deutschland der Politik empfehlen?

Die Diskussion ergebnisoffen zu führen, die Gesamtkosten im Auge zu behalten und die eine oder andere Prämisse kritisch zu überdenken. Etwa die, dass eine deutlich stärkere Gewichtung kapitalgedeckter privater oder betrieblicher Vorsorge die beste oder gar die einzige mögliche Reaktion auf den demografischen Wandel darstellen würde.

Die politische Herausforderung besteht nicht in der Begrenzung einer Beitragskomponente, sondern darin, auch unter sich deutlich ändernden demografischen Rahmenbedingungen eine gute Absicherung im Alter sicherzustellen. Und sie besteht darin, den hierfür erforderlichen Anstieg der Gesamtkosten im vertretbaren Rahmen zu halten und auch deren faire Verteilung zu gewährleisten. Die deutsche Rentenversicherung als sehr effizientes und grundsätzlich auch sehr flexibles System könnte hierbei künftig eine wesentlich stärkere Rolle spielen, als das derzeit vorgesehen ist.

node:vw-infobox

Schlagwörter
Autor*in
Avatar
Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare