Debatte

Oppermann: „Jede und jeder wird in unserem Land gebraucht“

Damit die hiesige Wirtschaft auch in Zukunft genügend Fachleute hat, will die SPD Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf leichter machen, Junge besser qualifizieren, Flüchtlinge schneller integrieren. Und Einwanderung auch von außerhalb der EU gezielt fördern – nach kanadischem Vorbild.
von Thomas Oppermann · 19. März 2015

Unser Wohlstand und unsere Lebensqualität beruhen auf der Leistung vieler Menschen und unserer starken Wirtschaft. Zurzeit geht es Deutschland gut. Heute arbeiten so viele Menschen wie noch nie zuvor. Aber unsere Gesellschaft altert und schrumpft. Sechs bis sieben Millionen Erwerbsfähige scheiden in den kommenden zehn Jahren aus. Menschen, die fehlen werden und nicht zu unserem Wohlstand beitragen können. Das ist eine große Herausforderung für unsere Wirtschaft. Jede und jeder wird in unserem Land gebraucht.

Potential von Frauen und jungen Leuten besser ausschöpfen

Rund 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 25 und 35 Jahren haben bisher keine Berufsausbildung. Wir müssen uns anstrengen, dass wir diese jungen Leute ausbilden, denn wir sind auf qualifizierte Fachkräfte angewiesen. Ebenso wenig können wir es uns leisten, auf hoch qualifizierte Frauen, die bisher nicht oder nur teilweise dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, zu verzichten. Deshalb setzen wir uns weiter dafür ein, Bedingungen für Familien zu schaffen, damit Familie und Beruf besser vereinbart werden können.

So wichtig die Ausschöpfung der im Inland vorhandenen Potentiale auch ist, langfristig wird das nicht reichen. Wir müssen gleichzeitig bessere Rahmenbedingungen für die Einwanderung von Fachkräften aus dem Ausland schaffen. Um deutlich zu machen, dass Deutschland ein attraktives und weltoffenes Land ist, setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion für ein neues Einwanderungsgesetz ein.

Bisherige Einwanderungs-Vorschriften bündeln

Deutschland profitiert derzeit von einer hohen Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus der EU. Wenn sich die Beschäftigungslage im Süden Europas verbessert, wird der Zuzug aus diesen Ländern abnehmen. Es kommt daher auch auf qualifizierte Einwanderer aus Ländern außerhalb Europas an. Wir schlagen deswegen vor, die verschiedenen, bereits existierenden Einwanderungsvorschriften in einem Einwanderungsgesetz zu bündeln. Mit solch einem Gesetz wollen wir ein starkes Signal auszusenden, dass Deutschland um die Einwanderung gut ausgebildeter Menschen wirbt. Die Bestimmungen der EU-Blue-Card, die derzeit die Einwanderung qualifizierter Arbeitnehmer aus dem Nicht-EU-Ausland regeln, reichen dafür nicht aus. Das wird auch dadurch belegt, dass seit 2012 insgesamt nur 24.000 Spezialisten von ihr Gebrauch gemacht haben.

Punktesystem für Einwanderung nach kanadischem Vorbild

Die SPD-Fraktion schlägt darum vor, ein flexibles nachfrageorientiertes Punktesystem zu entwickeln. Mit einem solchen System gewinnt beispielsweise Kanada jedes Jahr rund 250.000 qualifizierte Einwanderer. Deutschland braucht ein eigenes Regelwerk, kann aber von Erfahrungen aus Kanada oder anderen Einwanderungsländern profitieren, um die Einwanderung aus Drittstaaten langfristig bedarfsgerecht zu steuern und soziale Konflikte von Anfang an zu vermeiden.

Abschlüsse schneller anerkennen

Ein weiteres wichtiges Element des neuen Einwanderungsgesetzes muss die bessere und schnellere Anerkennung ausländischer Abschlüsse sein. Derzeit arbeiten schätzungsweise bis zu 500.000 Einwanderer unterhalb ihrer Qualifikation. Wir können es uns schlicht nicht leisten, dieses Potenzial von Anerkennungsberechtigten nicht auszuschöpfen.

Leichterer Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylbewerber

Zeitgleich muss der Arbeitsmarkt auch für Flüchtlinge geöffnet werden. Damit hat die Große Koalition bereits begonnen: So wurde 2014 die Frist für den Zugang von Asylbewerbern und Geduldeten zum Arbeitsmarkt auf drei Monate abgesenkt. Die Vorrangprüfung entfällt bereits nach 15 Monaten und für Mangelberufe sowie bei inländischer Ausbildung wurde sie ganz abgeschafft. Das sind alles wichtige Schritte, denn Asylsuchende und Geduldete, die durch eigene Arbeit für ihren Lebensunterhalt sorgen können, sind besser vor Diskriminierungen geschützt und können sich besser integrieren. Auf diesem Weg wollen wir voranschreiten und weiteren Verbesserungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt umsetzen. Damit leisten wir zeitgleich auch einen wichtigen Beitrag, um illegale Einwanderung und Menschenhandel zu bekämpfen und Schlepperbanden die Geschäftsgrundlage zu entziehen.

Einwanderung nach Deutschland kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie hier in unserer Gesellschaft akzeptiert, nach klaren Regeln abläuft und als das wahrgenommen wird, was sie ist: eine kulturelle Bereicherung und ökonomische Notwendigkeit. Dafür werben wir. Denn nur wenn die Einwanderung auf eine positive Grundlage in unserer Gesellschaft trifft, kann sie ein Gewinn für uns alle sein.

Autor*in
Thomas Oppermann

war von 2017 bis zu seinem Tod im Oktober 2020 Vizepräsident des Deutschen Bundestages.

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