Debatte

Ohne soziale Gerechtigkeit gibt es keinen Klimaschutz

Der Klimawandel ist eine ernsthafte Bedrohung für die gesamte Menschheit. Um ihn aufzuhalten, braucht es eine enorme globale Kraftanstrengung. Ohne massive Investitionen in die Reduzierung weltweiter Ungleichheiten wird sie nicht gelingen.
von Dirk Messner · 22. Dezember 2017
Während einer Dürre im April 2017 in Äthiopien verendetes Kamel: Wenn es Afrika schlecht geht, kann es auch Europa nicht gut gehen.
Während einer Dürre im April 2017 in Äthiopien verendetes Kamel: Wenn es Afrika schlecht geht, kann es auch Europa nicht gut gehen.

Vor den Klimaverhandlungen in Bonn kamen Anfang November 270 hochkarätige Wissenschaftler, und Vertreterinnen aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft zur vom Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) organisierten „Crossroads-Konferenz“ zusammen, um zu diskutieren, wie gefährlicher Klimawandel noch vermieden werden kann. Das Ergebnis der Beratungen zeigt, dass ambitionierteres Handeln notwendig ist: im Klimaschutz und zur Stärkung sozialer Kohäsion in unseren Gesellschaften.

Warum wir ein „Treibhausgasgesetz“ brauchen

Wir können die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch erreichen – aber ambitioniertes und beschleunigtes Handeln ist jetzt notwendig! Der Klimawandel stellt eine Bedrohung für die Zukunft menschlicher Zivilisation dar. Diese Herausforderung erfordert umfassendes Handeln der Weltgemeinschaft, um einen unkontrollierbaren Wandel des Erdsystems zu vermeiden. Die Vermeidung gefährlichen Klimawandels ist ein Wettlauf mit der Zeit. Globale Treibhausgasemissionen müssen bis Mitte des Jahrhunderts auf Null reduziert werden, um die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5 bis 2 Grad Celsius zu begrenzen.

Dieser Entwicklungspfad kann in ein „Treibhausgasgesetz“ übersetzt werden: Die Halbierung der Treibhausgasemissionen in jedem kommenden Jahrzehnt ist das Ziel. Jüngste Entwicklungen, wie der angekündigte Rückzug der USA aus dem Klimaabkommen, können zu Rückschlägen führen, aber auch dazu, die klimapolitischen Anstrengungen vieler anderer Akteure zu verstärken. Insbesondere die Industrie- und Schwellenländer, auch Deutschland, müssen durch nationale Kraftanstrengungen in ihren Ländern dafür sorgen, dass die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis Mitte des Jahrhunderts gelingt.

Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gemeinsam denken

Investitionen in Dekarbonisierung und soziale Kohäsion sind Zwillinge! Ohne massive Investitionen in die Reduzierung von Ungleichheiten zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes werden in vielen Ländern die Gegen-Transformationen, die auf „Our-Country-First“, Xenophobie sowie autoritären Nationalismus setzen und den Klimawandel leugnen, weiter an Bedeutung gewinnen – und so das Pariser Abkommen unterminieren. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit können daher nur zusammen erreicht werden.

Es gibt ernsthaften Anlass zur Sorge: Globale Zusammenarbeit und Friedenspolitik stehen auf dem Spiel! Es ist beunruhigend, dass politische Kräfte das internationale System und die Idee der globalen Zusammenarbeit in einem Moment herausfordern, in dem grenzüberschreitender Klimaschutz notwendiger ist denn je zuvor. Dass sich die Regierung der USA aus der globalen Klimaschutzverantwortung stiehlt, ist irritierend und brüskiert all diejenigen, die in den vergangenen zwei Dekaden dafür gearbeitet haben, weltweit eine positive Stimmung für den Klimaschutz zu schaffen. Der „Geist von Paris“, der Ende 2015 Zukunftshoffnung und weltweite Kooperationsbereitschaft zum Ausdruck brachte, ist nicht mehr selbstverständlich. Er muss erneut mobilisiert und bekräftigt werden.  

Nationalismus gefährdet den Klimaschutz

Ohne soziale Gerechtigkeit und soziale Kohäsion in unseren Gesellschaften kann globale Kooperation nicht gelingen! Aktuelle Entwicklungen in vielen Ländern zeigen: Soziale Gerechtigkeit ist nicht nur eine Grundlage für Klimaschutz und Dekarbonisierung, sondern auch für internationale Kooperation. Bröckelt der soziale Zusammenhalt in Gesellschaften, nehmen gefährliche Nationalismen zu, die Bereitschaft zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit für Klimaschutz und globale nachhaltige Entwicklung sinkt.

Grund für Optimismus: Technologische Durchbrüche beschleunigen die Transformation zur Nachhaltigkeit! Während politische Turbulenzen den Übergang zur Nachhaltigkeit erschweren, erleben wir gleichzeitig in vielen Teilen der Welt aufregende technologische Durch- und Aufbrüche bei den erneuerbaren Energien sowie eine rasche Ausweitung der E-Mobilität in China und anderen Ländern. Lokale, urbane und regionale Klimapioniere arbeiten weltweit daran, unsere Städte klimaneutral umzugestalten, inklusive Infrastrukturen aufzubauen und die Möglichkeiten der Digitalisierung für Nachhaltigkeitstransformationen zu nutzen.  

Ein neuer globaler Gesellschaftsvertrag

Attraktive Leitbilder nachhaltiger Zukünfte schaffen Lebensperspektiven, Vertrauen und Aufbruchstimmung! Zukunftsängste blockieren eine Transformation zur Nachhaltigkeit. Viele Menschen beklagen Kontrollverluste der Regierungen: Internationale Finanzströme, Flüchtlingsbewegungen, unüberschaubare globale Datenflüsse führen zu Verunsicherungen. Unsicherheit ist zugleich auch ein inhärentes Merkmal des Übergangs zur Nachhaltigkeit. Aber die von der Staatengemeinschaft verabschiedete Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung kann Orientierung, Zukunftsperspektiven und Vertrauen schaffen. Sie ist ein neuer globaler Gesellschaftsvertrag, der in Städten und Regionen in attraktive, vielfältige, jeweils lokal spezifische Wohlstandsvisionen und -narrative für das 21. Jahrhundert übersetzt werden kann.  

Europa und Deutschland müssen wieder Klimapioniere werden! Deutschland und Europa haben viel für den globalen Klimaschutz getan. Doch auch Deutschland wird seine Klimaziele für 2020, eine Reduzierung der Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990, klar verfehlen, wenn die Energieerzeugung durch Kohleverbrennung nicht rasch reduziert und bis 2030 beendet wird. Europa muss wieder zu einem leuchtenden Vorbild für Klimaschutz werden. Frankreichs Präsident Macron, die nächste Bundesregierung in Berlin und weitere europäische Partner müssen Klimaschutz, Resilienz, sozialen Zusammenhalt und globale Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung in das Zentrum der Erneuerung der Europäischen Union stellen.

Die ärmsten Länder unterstützen

Der Klimapakt von Paris und die Umsetzung der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung gelingen nur, wenn die Kooperation mit Entwicklungsländern massiv ausgebaut wird! Wenn es Afrika schlecht geht, kann es auch Europa nicht gut gehen – das ist die Lehre der Flüchtlingsbewegungen der vergangenen Jahre. Die ärmsten Länder müssen unterstützt werden, Armut sowie Ungleichheit zu reduzieren und zugleich den Übergang zu klimaverträglichen und -resilienten Gesellschaften bewerkstelligen zu können.

Paternalistische „Entwicklungshilfe“ ist nicht die Antwort. Vielmehr sollten wir eine Kultur globaler Kooperation schaffen, die auf gegenseitigem Lernen und Respekt beruht. Entscheidungsträger aus Industrie- und Schwellenländer - die „mächtigen Akteure“ - müssen lernen, dass ernsthafte Partnerschaften für globale nachhaltige Entwicklung so wichtig sind, wie Außen- und Sicherheitspolitiken. Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind Bedingungen für Frieden und Sicherheit. Für Europa ist die Zukunftspartnerschaft mit Afrika der Testfall für eine gemeinsame Zukunftsgestaltung.

Das Jahrhundert der Global Commons statt „Our Country First“! Das 19. und das 20. Jahrhundert waren das Zeitalter der Nationalstaaten. Im 21. Jahrhundert geht es darum, die gemeinsamen Lebensgrundlagen der Menschheit zu bewahren. Die Agenda 2030 und das Pariser Klimaabkommen sind Wegweiser, um eine globale Kultur der Kooperation zu entwickeln, in der nationaler Wohlstand und globales Gemeinwohl Fluchtpunkte menschlicher Entwicklung werden.

Autor*in
Dirk Messner
Dirk Messner

ist Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und Co-Direktor des Käte Hamburger Kollegs – Centre for Global Cooperation Research.

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