Debatte

Kopftuchdebatte: Aufschrei der Ängstlichen

Heutzutage ist es erhellend, ein Kopftuch zu tragen. Der Stoff wird zum chemischen Indikator, der in die „Suppe Deutschland“ getaucht wird – und schnell zeigt, wie es um unsere Toleranz und Offenheit steht.
von Jasamin Ulfat-Seddiqzai · 16. Juli 2015

In meiner Jugend gab es eine Frage, die die Verwirrung rund ums Kopftuchtragen perfekt zusammenfasste: „Ja aber...“, fingen Mitmenschen besorgt an, „ist das nicht unheimlich schwierig beim Duschen? Wie machst du das?“ Die Annahme, ich hätte eine faszinierend neue Art des Duschens kreiert, lag für viele näher als die Vorstellung, dass muslimische Frauen normale Menschen sind, die ihr Kopftuch einfach abnehmen können. „Wer nicht fragt, bleibt dumm“, brachte mir eine beliebte Kindersendung bei. Und so nahm ich diese und ähnliche Fragen stets mit Humor und erklärte gerne.

Angst vor den „Einwanderern in die Sozialsysteme“

Das war in den 90ern, als hasserfüllte, ängstliche Menschen noch „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ brüllten, weil „die Ausländer“„den Deutschen“ die Arbeit wegnähmen. Seitdem hat sich vieles geändert. Der 11. September hat mit einem lauten Knall viele Fragen vermeintlich beantwortet. Und „Ausländer“ werden jetzt nicht mehr als arbeitende Bedrohung gesehen, sondern als „Einwanderer in die Sozialsysteme“. Die Welt wächst durch neue Medien näher zusammen, ohne dass die Unwissenheit abnimmt. Und während es vor Jahren noch Arbeitsplätze gab, die man schützen wollte, haben wir in Zeiten von Kurzarbeit und Altersarmut nur noch Angst, dass uns die „Fremden“ auch noch die Staatsalmosen nehmen.

In dieser Zeit der „Gutmenschenverteufler“ ist es sehr erhellend, ein Kopftuch zu tragen. Für mich ist das Tuch zum chemischen Indikator geworden, den ich jeden Tag in die „Suppe Deutschland“ tauche, und der mir schnell zeigt, wie es um unsere Toleranz und Offenheit steht.

Vorwurf des „Geburtenjihad“ in Internethetzforen

Ich wünsche mir ein Land, in dem Frauen mit Kopftuch Karriere machen können, in dem zwei Männer Kinder adoptieren können, in dem Menschen sich nicht eindeutig den traditionellen Geschlechtern zuordnen müssen. Wir haben in dieser Hinsicht schon große Fortschritte gemacht. Eine Frau ist Kanzlerin, Politiker sind offen homosexuell und ich unterrichte mit Kopftuch englische Literatur an einer deutschen Universität. Wir haben aber auch Rückschritte gemacht.

Vermeintlich „besorgte“ Eltern spucken Gift und Galle, nur weil in Schulbüchern Mama und Mutti dem kleinen Fritz beim Hausaufgaben machen helfen. Im Internet werden junge, selbstbewusste Frauen mit Mord und Folter bedroht, wenn sie Frauenfeindlichkeit in Videospielen analysieren. Und als am 1.1.2014 mein Kind zum lokalen Neujahrsbaby wurde, schoss die Zeitung ein Foto von unserer kleinen Familie. Schon bald wurde dieses Foto inklusive unserer vollen Namen in rechten Internethetzforen verbreitet mit dem Vorwurf, dass ich „Geburtenjihad“ betreibe, und man meine „islamistische Brut“ ausrotten müsse, die ja auf dem Bild ohnehin viel mehr an ein Tier als an einen Menschen erinnere. Der Staatsschutz ermittelte, die feigen Patrioten hinter diesen Worten verstecken ihre Server aber im Ausland.

Der Untergang des Abendlandes

Das ist kein Einzelfall. Jedes Jahr durchforsten Rechte die Listen der Neujahrsbabys, und prophezeien anhand der „fremd“ klingenden Babynamen den Untergang des Abendlandes. Ganz richtig, diese Menschen haben so viel Angst, dass sie glauben, Säuglinge könnten ihnen ihr Land wegnehmen.

Ganz egal, ob man in einigen bayerischen Wirtshäuser Mäuschen spielt, oder Bestseller von manchem SPD-Politiker liest: Die Angst, überrannt zu werden, ist allgegenwärtig. Aber da ich Optimist bin, sehe ich das Positive darin: Vielleicht haben wir so sehr Angst davor, weil Offenheit und Toleranz bereits allgegenwärtig sind. Vielleicht ist das nur ein letztes Aufbäumen, kurz bevor der Hass der Erkenntnis weicht, dass wir Deutschen nicht so schwach und dumm sind, wie Pegida behauptet. Pegida behauptet das? Ja, genau. Nur schwache Menschen, die dumm bleiben wollen, trauen sich nicht, zu fragen. Haben Angst vor dem Neuen. Schreiben anonyme Tiraden unter Online-Artikel. Trauen sich in Neukölln nicht mehr auf die Straße, weil es da angeblich zugeht wie im Bürgerkrieg.

Zukunft voller verschiedener Farben, Formen und Denkrichtungen

Aber Deutschland kann ganz anders, und das zeigt uns auch die vermeintlich überbehütete, mit Fahrradhelm aufgewachsene Jugend von heute. Während einige Menschen ihre Stärke dadurch betonen müssen, dass sie damals noch ohne Gurt im Auto saßen und ihre Mütter in der Schwangerschaft geraucht haben, und es ihnen ja auch nicht geschadet hätte, ziehen diese jungen Leute los und machen Auslandspraktika, lernen Sprachen und haben auch mit ihren nicht-weißen Nachbarn im Kiez keine Berührungsängste.

Natürlich ist Offenheit und Toleranz keine Sache des Alters – es gibt auch Rentner, an denen wir uns alle ein Vorbild nehmen können. Aber wir Deutschen machen einen Schritt in die richtige Richtung. Die Pegida-Demos sind kein Zeichen dessen, was „das Volk“ wirklich will. Und man muss auch nicht auf sie „zugehen“ und mit ihnen reden, um das Volk besser zu verstehen. Die zahlenmäßig deutlich höheren Gegendemonstrationen sind eine viel klarere Meinungsäußerung. Ein bisschen Angst haben wir noch, aber mehrheitlich freuen wir uns auf eine Zukunft voll verschiedener Farben, Formen und Denkrichtungen. Und wir schaffen das auch. Ganz egal, was die Ängstlichen in ihre Mikrofone brüllen.

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Jasamin Ulfat-Seddiqzai

hat Anglistik, Germanistik und Sozialwissenschaften in Essen studiert und promoviert derzeit in den anglistischen Postcolonial Studies. Seit 2013 ist sie freie Autorin bei MiGAZIN, Online-Fachmagazin für Integration und Migration.

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