Debatte

Kopftuch: Schaut in unsere Augen, nicht auf unsere Köpfe

Was den Umgang mit Vielfalt betrifft, steckt Deutschland noch in den Kinderschuhen: Gut qualifizierten Frauen mit Kopftuch bleiben Tätigkeiten im öffentlich-staatlichen Bereich versperrt. Dabei sollte es doch um die Person gehen – nicht um die äußere Hülle.
von Selma Yilmaz Ilkhan · 24. Juli 2015
Uni-Absolventin mit Kopftuch
Uni-Absolventin mit Kopftuch

In einer Gesellschaft, in der Werte wie Freiheit und Demokratie als höchstes Gut angesehen werden, diskutieren wir heute bedauerlicherweise noch immer über ein Stück Stoff. Mal heißt es, das Kopftuch sei ein Hindernis für die Emanzipation der muslimischen Frau, mal wird behauptet, es passe nicht zum öffentlichen Bild Deutschlands. Die Meinung der Kopftuch tragenden Frauen, die von den Diskussionen betroffen sind, wird leider oftmals außer Acht gelassen. Wieso gelingt es einfach nicht, uns nicht auf die Köpfe, sondern in die Augen zu schauen? Wichtig sind doch die Person und ihre Fähigkeiten und Ideen, nicht die äußere Hülle.

Ignorante Haltung gegenüber muslimischen Frauen

Als Deutsch-Türkin, die in Deutschland aufgewachsen und hier sozialisiert ist, finde ich es immer wieder schade und frustrierend, mich ständig für mein Kopftuch rechtfertigen zu müssen. Ich trage mein Kopftuch aus einer persönlichen religiösen Überzeugung; ich  bemühe mich damit einer aus meiner Sicht religiösen Verpflichtung nachzukommen. Darauf ist dann aber auch meine Motivation zum Tragen eines Kopftuches begrenzt. Ich habe keinerlei politischen oder anderweitige Motive.

Doch eine religiöse Überzeugung allein wird von der Öffentlichkeit als Motivation ein Kopftuch zu tragen nicht ausreichend akzeptiert und respektiert. Schlimmer noch: Meist wird eine politische Motivation unterstellt und die religiöse als solche nicht wirklich wahrgenommen. So eine ignorante Haltung wird zudem vor allem muslimischen Frauen gegenüber eingenommen.

Das Kopftuch ist ein Ausdruck von Selbstbestimmung

Viele Menschen, die einer Nonne begegnen, empfinden ihr gegenüber einen gewissen Respekt. Der Wille dieser Frau, ihr Leben an ihrem Glauben auszurichten, wird  geschätzt und beeindruckt auch Andersgläubige. Die dahinter stehende Lebensleistung wird erkannt und gewürdigt, auch wenn man die religiöse Haltung nicht teilt.

Auf eine Muslima mit Kopftuch ist der öffentliche Blick ein anderer. Insbesondere dann, wenn sie sich auf allen Ebenen der Gesellschaft bewegen will – Wertschätzung erfährt sie dafür nur sehr selten. Ganz im Gegenteil: Meist hat sie mit Vorurteilen zu kämpfen und steht zudem oft in der Pflicht, sich für das Kopftuch rechtfertigen zu müssen. Ist eine solche Tatsache nicht widersprüchlich und intolerant?

In einem modernen, demokratischen Staat zu leben heißt für mich insbesondere auch, das Recht auf Selbstbestimmung zu haben und damit unter anderem meinen Kleidungsstil selbst zu bestimmen. In Deutschland sollte keinem Menschen das Recht auf Selbstbestimmung genommen werden, ganz gleich welcher Ethnie und Religion er angehört und welche sexuelle Neigung er hat. Genau dieser Grundsatz sollte auch für Frauen mit Kopftuch gelten und daher dürfen wir nicht erlauben, dass Frauen mit Kopftuch diskriminiert werden.

Potenziale einer pluralistischen Gesellschaft fördern

Mittlerweile leben über vier Millionen Muslime in Deutschland und Kopftuch tragende Frauen gehören selbstverständlich zum Straßenbild. Wenn wir glauben, dass wir diesen Frauen durch negative und von Vorurteilen geprägte Debatten zur Emanzipation verhelfen, täuschen wir uns gewaltig. Eine solche Atmosphäre ist eher hinderlich, weil sie Muslimen abspricht, Teil unserer Gesellschaft zu sein.

Es ist schon lange an der Zeit, über die Vorstellung einer einheitlichen Leitkultur hinaus zu denken. Die Potenziale einer pluralistischen Gesellschaft sollten endlich erkannt und gezielt gefördert werden. Damit würde es uns gelingen, die Vielfalt, die wir im Straßenbild sehen, auf unterschiedlichen Ebenen der Gesellschaft und in der Berufswelt abzubilden.

Begrenzte Möglichkeit zur Mitgestaltung

Bisher werden gut qualifizierte Frauen mit Kopftuch in den meisten Berufsfeldern gegenüber anderen Bewerberinnen benachteiligt oder mit Gesetzen konfrontiert, die faktisch zu einem Berufsverbot führen. Bei Berufen in der freien Wirtschaft hat selbstverständlich der Staat nur eine begrenzte Möglichkeit zur Mitgestaltung. Allerdings bleiben noch immer gut qualifizierten Frauen mit Kopftuch Tätigkeiten in den öffentlich-staatlichen Bereichen versperrt.

Dagegen scheint es allerdings kein Problem zu sein, in Schulen, Stadtverwaltungen oder anderen öffentlichen Einrichtungen Frauen mit Kopftuch als Reinigungskräfte einzustellen. Doch paradoxerweise war es bis vor kurzem unmöglich, an derselben Schule als Lehrerin oder an einer anderen öffentlichen Einrichtung als Beamtin mit Kopftuch zu arbeiten. Dass sich diese Situation geändert hat, haben wir nicht einer offener werdenden Gesellschaft zu verdanken, sondern einem höchstrichterlichen Urteil.

Nach vier Jahren akademischen und beruflichen Aufenthalts in London, wo das Potenzial einer pluralistischen Gesellschaft längst erkannt wurde, werde ich nun demnächst nach Deutschland zurückkehren. Diese Rückkehr und die derzeitigen politischen Debatten in Deutschland sehe ich mit gemischten Gefühlen. Einerseits erinnern sie mich daran, dass Deutschland, was den Umgang mit Vielfalt betrifft, noch in den Kinderschuhen steckt. Und andererseits sehe die Chance durch meine Erfahrungen in England mit dazu beizutragen, dass sich positive Ansätze verstärken lassen.

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Selma Yilmaz Ilkhan

ist eine der Sprecherinnen des Arbeitskreises Muslimischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Yilmaz Ilkhan wurde in Hanau geboren und studierte in Gießen Politik- und Sozialwissenschaften. An der Birkbeck University of London machte sie ihren Master of Science in International Security and Global Governance. Derzeit lebt sie in London und bereitet sich auf ihre Promotion vor. Zugleich ist sie als Policy and Project Officer bei Faiths Forum for London tätig.

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