Debatte

Klimawandel und Kapitalismus: Solidarität statt Profitlogik

Systemkritik statt moralischem Zeigefinger: Der Politikwissenschaftler Markus Wissen analysiert mit dem Konzept der „Imperialen Lebensweise“ die globale Ungleichheit und wehrt sich in der Debatte um den Klimawandel gegen moralische Appelle an den Einzelnen. Einem „Grünen Kapitalismus“ erteilt er eine Absage und schlägt eine „Solidarische Lebensweise“ als Alternative vor.
von Markus Hüttmann · 1. November 2017
Wüstenbildung in Jordanien: Die so genannte "Desertifikation" ist eines der vielen Probleme, die der Klimawandel verursacht oder verschärft.
Wüstenbildung in Jordanien: Die so genannte "Desertifikation" ist eines der vielen Probleme, die der Klimawandel verursacht oder verschärft.
Der interessierte Zuhörer muss erst einmal den Gang über drei dunkle Hinterhöfe in Berlin-Friedrichshain wagen, um dem Vortrag von Markus Wissen mit dem Titel „Gibt es einen grünen Kapitalismus? Das Ende der imperialen Lebensweise“ lauschen zu können. Gut gefüllt ist der Raum im zweiten Stock einer ehemaligen Pianofabrik trotzdem - das Thema scheint zu ziehen.
 
Markus Wissen, Professor für Gesellschaftswissenschaften an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht, forscht vor allem zu sozial-ökologischen Transformationsprozessen. Dieses Jahr hat er zusammen mit seinem Ko-Autoren Ulrich Brand ein neues Buch mit dem Titel „Imperiale Lebensweise – Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus“ vorgelegt, auf dem auch sein Vortrag basiert.

Ausbeutung des Planeten durch Länder des "Globalen Nordens"

Was hat es mit der „imperialen Lebensweise“ auf sich? Wissen zufolge bezeichnet das Konzept die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der Erde durch die entwickelten Gesellschaften des „Globalen Nordens“. Mit „Globaler Norden“ ist hier nicht der geografische Norden auf dem Globus, sondern die Gesamtheit der entwickelten Industriestaaten gemeint. Diese Staaten hätten seiner Meinung nach eine globale politische und wirtschaftliche Vormachtstellung inne.
Über diese könnten sie von der globalen Ungleichheit profitieren und ihren Einwohnern einen hohen Lebensstandard garantieren, so Wissen. Die negativen Seiten dieser Entwicklung wie Umweltzerstörung und die Folgen des Klimawandels würden dagegen räumlich in den „Globalen Süden“ und zeitlich in die Zukunft verlagert, beklagt Wissen.
 
Daraus folge für ihn aber nicht, gegenüber dem einzelnen Konsumenten in entwickelten Ländern den moralischen Zeigefinger zu heben. Dem Politikwissenschaftler geht es um die gesellschaftlichen Verhältnisse, die „krisenverschärfendes Konsumverhalten“ reproduzieren. Und es geht ihm darum, zu zeigen, dass der Verbrauch auch innerhalb von entwickelten Gesellschaften höchst ungleich verteilt ist: „Je höher das Einkommen, desto höher der Verbrauch und die schädlichen Emissionen“, sagt Wissen. Kaum etwas symbolisiere die Klassendimension der imperialen Lebensweise für ihn so sehr wie der teure, protzige und ressourcenhungrige, auch „SUV“ genannte Stadtgeländewagen auf der Straße, spottet er.

Grüner Kapitalismus sei keine Lösung

Als Lösung für den Konflikt zwischen profitorientiertem Wirtschaften auf der einen sowie Klima- und Umweltschutz auf der anderen Seite werde Wissen zufolge oft das Konzept des „Grünen Kapitalismus“ ins Spiel gebracht. Durch effiziente Technologien und gezielte Anreize arbeite die Marktwirtschaft zukünftig umweltschonend und klimaneutral, weil dies schlicht mehr Profit bedeute: Für die Verfechter dieses Ansatzes eine „Win-Win-Situation“.
Wissen kritisiert eine solche Fixierung auf den Markt als Allheilmittel scharf: Die Ursache des Problems, die für ihn die kapitalistische Profit- und Wachstumslogik ist, werde hier zur Lösung umgedeutet. Man könne mit dem grünen Kapitalismus zwar den Ressourcenverbrauch senken. Aber es sei empirisch erwiesen, dass die notwendige Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Verbrauch natürlicher Ressourcen auch mit dem „Grünen Kapitalismus“ nicht funktioniere. Zudem würden Einsparungen durch effizientes Wirtschaften einfach an anderer Stelle wieder für mehr Produktion und Konsum ausgegeben: Probleme würden verlagert statt überwunden.

Nachhaltige Lebensweise statt Wachstumslogik

Wissen dagegen möchte die imperiale durch die „Solidarische Lebensweise“ ersetzen. Dafür sei eine fundamentale Änderung der globalen Wirtschaftsweise nötig, in der statt Wachstum und Konsum ein maßvoller und nachhaltiger Verbrauch im Mittelpunkt stehe. Wissen stellt klar:  Was die kapitalistische Wirtschaftsweise angeht, „geht es dann ans Eingemachte“.

Und was ist mit den SUV’s, fragt es aus dem Publikum? Wissens hat dazu eine klare Meinung: „Verbieten“. Die Lebensbedingungen anderer und zukünftiger Menschen mit derart krisenverschärfendem Verhalten zu untergraben, sei nicht legitim. Da lässt er sich auch von dem erschrockenen Aufhorchen im Publikum nicht beeindrucken.

Autor*in
Markus Hüttmann

ist bis zum 1. Dezember 2017 Praktikant in der Redaktion des vorwärts. Der gebürtige Hamburger studiert Politikwissenschaft im Master an der Freien Universität Berlin.

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