Debatte

Junge Frauen und Gleichberechtigung: Feminismus, nein danke?!

Oft heißt es, Feminismus werde nicht mehr gebraucht: Junge Frauen setzen lieber auf persönliche Leistung und den Willen zum Erfolg. Kein Wunder, sie befinden sich ja in einer privilegierten Position.
von · 12. Juli 2017

Letztens lief ich in Berlin an einem Fotostudio vorbei. Draußen warb ein Aufsteller um Kundschaft. Darauf zu sehen: Eine Frau von hinten, ihr Hintern größtenteils entblößt, eine Kamera darauf gerichtet. Der Slogan: „Wir machen Ihre Kamera fit für den Sommer!“. Bild und Slogan zusammen warfen bei mir einige Fragen auf (beispielsweise, ob sich mit einer „fit für den Sommer“ gemachten Kamera besonders gut halbnackte Frauen fotografieren lassen). Vor allem aber überlegte ich, warum es immer noch so offensichtlich okay ist, Sexismus als Verkaufsargument zu benutzen. Und stellte mal wieder fest: Solange das noch so ist und sex sells gilt, braucht es eben Feminismus.

Kleine und große Ungerechtigkeiten

Dabei geht es beim Feminismus natürlich nicht nur um den – alltäglichen – Sexismus. Es geht ebenso um Diskriminierung, um sexualisierte Gewalt, um Geschlechterrollen. Darum, dass Frauen in unserer Gesellschaft immer noch nicht die gleichen Chancen haben wie Männer. Es geht um die vielen kleinen und großen Ungerechtigkeiten, von denen wir erstere oft ignorieren, weil wir uns so sehr an sie gewöhnt haben. Ja, die Frauenbewegung hat in den letzten Jahrzehnten viel erreicht: Frauen dürfen wählen, sie dürfen arbeiten gehen, ohne ihre Ehemänner um Erlaubnis bitten zu müssen, sie dürfen abtreiben und auch Vergewaltigung in der Ehe ist jetzt strafbar. Generationen von Frauen (und Männern) haben für diese Rechte gekämpft, waren laut, unbequem und dickköpfig.

Doch dass diese Rechte erkämpft wurden, haben viele Frauen heute vergessen. Vor allem jüngere Frauen. Sie sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der es selbstverständlich ist, dass Frauen arbeiten gehen und eigenes Geld verdienen, dass sie über ihr eigenes Leben und ihre Sexualität bestimmen dürfen. Ihnen ist eingeimpft worden: Ihr seid für euer Leben selbst verantwortlich! Ihr könnt alles erreichen, was ihr wollt! Kein Wunder, dass deshalb viele junge Frauen glauben, Feminismus bräuchten sie nicht mehr. Sie fühlen sich schließlich nicht unterdrückt, nicht benachteiligt. Wenn sie sich in enge Tops quetschen und vor einer Gruppe Männer mit der besten Freundin rumknutschen, dann machen sie das nur, weil sie selber Lust darauf haben. Wenn sie nach einer Schwangerschaft beschließen, nicht mehr Arbeiten zu gehen und zu Hause zu bleiben, ist das allein ihre Entscheidung. Und natürlich haben sie recht: Das Anliegen des Feminismus sollte nicht sein, Vorschriften zu machen und sich in die Entscheidungen anderer einzumischen.

Was zählt, ist der Wille zum Erfolg

Aber es sollte das Anliegen des Feminismus sein, Fragen zu stellen, zu beobachten und den gesamtgesellschaftlichen Kontext nicht aus dem Blick zu verlieren. Das Private ist schließlich politisch: Was wir als rein persönliche Erlebnisse abtun, hat oft gesellschaftspolitische Relevanz. Das sehen viele junge Frauen aber nicht so. Sie leben nach dem allgegenwärtigen Mantra des individuellen Potenzials – you go! Was heute zählt, sind Leistung und der Wille zum Erfolg. Für ihr Glück ist jede selbst verantwortlich. So wird natürlich auch das Scheitern zur individuellen Verantwortung. Wer keinen Erfolg hat, ist selber schuld.

So gesehen ist der Feminismus vielleicht zu erfolgreich gewesen. Junge Frauen von heute sind mit den Errungenschaften der Frauenbewegung aufgewachsen – und vergessen, dass sie sich vor allem dank dieser Bewegung in der privilegierten Position befinden, das Thema Gleichberechtigung vernachlässigungswert zu finden. Sie wollen möglicherweise nicht daran erinnert werden, dass es auch heute noch Strukturen und Systeme gibt, die Frauen und Minderheiten benachteiligen. Bloß nicht ‚Opfer‘ sein! Ab einem bestimmten Punkt hilft Individualismus aber weder weiter, noch wird er nachhaltig die Gesellschaft verändern. Denn auch das vergessen viele Frauen: Rechte, die einmal erkämpft wurden, können uns vom einen auf den anderen Tag wieder weggenommen werden. Ein Blick nach Polen, in die Türkei oder die USA zeigt das ganz deutlich.

Feminismus öffnet den Blick

Solange also halbnackte Frauenhintern benutzt werden, um alles Mögliche zu bewerben (und in den seltensten Fällen Unterwäsche), solange Frauen täglich Opfer sexualisierter oder körperlicher Gewalt werden und solange Geschlechternormen vorschreiben, was ‚männlich‘ oder ‚weiblich‘ ist (und die Möglichkeit, dass Geschlecht mehr ist als nur diese beiden Attribute, gar nicht in Betracht zieht), so lange brauchen wir Feminismus. Denn Feminismus öffnet den Blick, lässt uns Dinge sehen, die wir vorher gar nicht wahrgenommen haben. Feminismus bedeutet, wachsam zu bleiben und sich nicht auf dem bereits Erreichten auszuruhen. Feminismus bedeutet, eben nicht zu vergessen – und sich nicht einreden zu lassen, alleine ginge es immer besser als gemeinsam.

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