Debatte

Jugendstudien: Wie junge Menschen politisch ticken

Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland wächst das Interesse an der Politik. Allerdings können die Parteien davon nicht profitieren. Wie lässt sich das ändern?
von Paul Starzmann · 13. April 2017
Junge Leute
Junge Leute

„Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität“, sagte der antike Philosoph Sokrates. Sein Satz ist über 2000 Jahre alt – und noch immer hält sich das Vorurteil von der angeblich so verdorbenen Jugend. Dem gängigen Klischee widersprechen nun jedoch aktuelle Studien. Sie zeigen, für welche Themen Jugendliche und junge Erwachsene heute brennen – etwa für Frieden, Menschenrechte und Familie.

Kaum Vertrauen in Unternehmen, Kirchen, Parteien

Für die politischen Parteien sind die Befunde der wissenschaftlichen Untersuchungen allerdings ernüchternd. So heißt es in der Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2015, es gebe bei jungen Menschen ein „steigendes Interesse an Politik – nicht aber an Parteien“. Großunternehmen, Banken, Kirchen – diesen Organisationen trauen junge Menschen laut Shell-Studie nicht über den Weg. Das Gleiche gilt auch für die Parteien. Justiz, Polizei, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen genießen dagegen ein hohes Ansehen, heißt es in der Shell-Studie. Die Autoren der aktuellen SINUS-Jugendstudie betonen zugleich, dass junge Menschen über einen zu geringen Einfluss auf politische Prozesse klagen: „Die meisten Befragten sind der Ansicht, dass man allein sehr wenig bewirken kann“.

Über die Mitgliedschaft in einer Partei mehr Einfluss auf die Politik zu gewinnen, kommt allerdings nur für wenige junge Menschen in Betracht. Abgesehen von Ausnahmen wie dem „Schulzeffekt“ in der SPD, findet kaum ein Jugendlicher den Weg in ein Kreisbüro oder den Ortsverein. Die Jungen setzen laut Shell-Studie auf andere Formen der Beteiligung: „An der Spitze stehen dabei der Boykott von Waren aus politischen Gründen und das Unterzeichnen von Petitionen“ – gefolgt vom Protest auf der Straße und dem Engagement in Bürgerinitiativen.

Für die Demokratie, aber gegen die Politiker?

Ein Grund für die Skepsis gegenüber den Parteien könnte sein, dass eine Mehrheit von 64 Prozent der deutschen 15- bis 34-Jährigen findet, ihre Ansichten würden von den meisten Politikern ignoriert. 37 Prozent misstrauen Politikern sogar generell. Diesen Befund zeigt der „Millennial Dialogue Report“ aus der Brüsseler Denkfabrik „Foundation for European Progressive Studies“ (FEPS). Zugleich heißt es in dem Bericht, die überwiegende Mehrheit von 97 Prozent der jungen Deutschen vertraue darauf, dass sich Politiker für eine gute Zukunft der Jugend einsetzten.

Zum Wählen gehen will laut FEPS-Studie ein Großteil der jungen Leute in Deutschland: Wären morgen Wahlen, ganze 80 Prozent der Befragten würden ihre Stimme abgeben. Der Glaube an die Demokratie scheint bei den Jungen also ungebrochen: 77 Prozent sprechen dem politischen System in Deutschland ihr Vertrauen aus, nur zehn Prozent zweifeln an der repräsentativen Demokratie. Der Grund, warum sich die Jugend kaum für die politischen Parteien interessiert, scheint also keine Systemfrage zu sein.

Was wollen junge Leute?

Um attraktiver zu werden für junge Menschen, hilft den Parteien vielleicht ein Blick auf die Wünsche und Wertvorstellungen der heutigen Jugend. Die Shell-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die meisten Jungen optimistisch in die Zukunft blicken. Allerdings machen sich vermehrt Ängste vor Krieg und Terror in Europa breit. Auch der wachsende Rassismus betrübt viele junge Menschen, während nur eine Minderheit Angst vor Zuwanderung hat. Viele wünschen sich zudem, dass sich Deutschland stärker in die Weltpolitik einbringt – allerdings nicht mit militärischen Mitteln.

Die Macher der FEPS-Studie haben nachgefragt, was Jugendliche tun würden, wären sie selbst in Regierungsverantwortung: Für Rüstungsausgaben sprechen sich dabei nur elf Prozent aus ­– die Mehrheit würde lieber in Bildung investieren. Ganz oben auf der Agenda der Jungen steht außerdem die Chancengleichheit. Bei allen diesen Themen sehen die meisten Befragten der FEPS-Studie die Politik auf einem guten Weg. So sind über 90 Prozent überzeugt, die Politik kümmere sich ausreichend um Chancengleichheit, Bildung und das Gesundheitssystem. Ein Grundvertrauen in die Politik scheint bei jungen Menschen also zu bestehen – nun liegt es an den Parteien, daraus etwas zu machen.

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Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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