Debatte

„Integration heißt nicht, dass jede Migrantin Dirndl tragen muss“

Migranten sollen sich an der bayerischen Leitkultur orientieren. Das will die CSU per Integrationsgesetz festschreiben. Nicht nur Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Kirchen laufen dagegen Sturm. „Das Gesetz gehört in die Tonne“, verlangt SPD-Integrationspolitiker Arif Taşdelen.
von Yvonne Holl · 19. Juli 2016
Nach CSU-Maßstäben vorbildlich integriert: Das türkischstämmige Prinzenpaar Murat I. und Hacer I. der Karnevalsgesellschaft Karlstadt in Bayern winken zum Helau.
Nach CSU-Maßstäben vorbildlich integriert: Das türkischstämmige Prinzenpaar Murat I. und Hacer I. der Karnevalsgesellschaft Karlstadt in Bayern winken zum Helau.

Herr Taşdelen, kennen Sie die Definition der bayerischen Leitkultur?

Nein. Ich kenne insbesondere die fränkische Lebensart und auch die bayerische Lebensart. Eine Definition der bayerischen Leitkultur konnten mir noch nicht einmal die liefern, die sie erfunden haben.

Gegen den Begriff, der im CSU-Entwurf zum bayerischen Integrationsgesetz mehrfach vorkommt, laufen Ihre Fraktion, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Kirchen Sturm. Was genau stört Sie?

Man kann das Leben in Bayern nicht in einem einzigen Wort zusammenfassen. Bayern ist enorm vielfältig! Im Gegensatz zur CSU bedeutet für mich gelebte Integration nicht, dass jede Migrantin Dirndl tragen muss.

Es gibt auch Einheimische, die nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen oder Tracht tragen. Müssen sich diese Menschen etwa auch in die „bayerische Leitkultur“ integrieren? Dabei ist für mich ganz klar, dass auch Migrantinnen und Migranten sich an die hiesigen Regeln zu halten haben, nämlich das Grundgesetz und die bayerische Verfassung.

Die bayerische SPD-Landtagsfraktion hält das von der CSU vorgelegte Integrationsgesetz für verfassungswidrig. Warum?

Das Gesetz enthält einige unbestimmte Rechtsbegriffe, wie beispielsweise die Leitkultur. Wir können niemanden zu etwas verpflichten, dass wir nicht definiert haben. Deshalb halte ich und auch einige Rechtswissenschaftler das Integrationsgesetz für verfassungswidrig. Im übrigen gebe ich zu bedenken, dass dieses Gesetz nicht nur Zuwanderer betrifft. Auch Einheimische werden zur Einhaltung der Leitkultur verpflichtet. Dieses Gesetz richtet sich also gegen uns alle.

Was planen Sie, dagegen zu unternehmen?

Wir werden zu den einzelnen Artikeln dieses Gesetzes Änderungsanträge einbringen und so aufzeigen, wie Integration richtig funktionieren kann. Ich gehe jedoch davon aus , dass die verfassungsrechtliche Prüfung ergibt, dass dieses Gesetz gegen die Verfassung verstößt.

Daher rufe ich die CSU zur Vernunft auf und hoffe, dass sie dieses Gesetz einstampft.

Was müsste geändert werden, um aus der Vorlage ein gutes, hilfreiches Gesetz zu machen?

Alles. Aus diesem Entwurf wird man auch mit viel Mühe und Wohlwollen kein Gesetz machen, dass unsere Gesellschaft zusammenbringt. Das Gesetz gehört deshalb in die Tonne. Wir haben im bayerischen Landtag im Juli die Enquete-Kommission „Integration aktiv gestalten und Richtung geben“ eingesetzt. Als Vorsitzender dieser Kommission werde ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen Konzepte erarbeiten, die parteiübergreifend Akzeptanz finden werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit den Ergebnissen der Enquete-Kommission ein zukunftsfähiges Integrationskonzept für Bayern auf den Weg bringen können.

Aus der Entfernung wirkt es absurd: Bayern meistert die praktischen Herausforderungen der Flüchtlingskrise im Vergleich zu anderen Bundesländern ganz wunderbar, gleichzeitig kommen von dort die schärfsten Töne. Wie kommt es zu der Schieflage?

Die Herausforderungen der Flüchtlingskrise meistern wir in Bayern ganz wunderbar, weil in den meisten Großstädten SPD-Oberbürgermeister regieren. Die einen schimpfen, während die anderen anpacken. Besonders München hat im vergangenen Herbst das positive Bild Deutschlands in der Weltöffentlichkeit geprägt. Wir meistern die Herausforderungen auch deshalb, weil tausende Menschen in Bayern sich ehrenamtlich engagieren – und das nicht nur in der Flüchtlingsarbeit. An dieser Stelle gilt mein Dank deshalb insbesondere unseren vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern.

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Autor*in
Yvonne Holl

ist Redakteurin für Politik und Wirtschaft.

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