Debatte

Heimat Ruhrgebiet: Jenseits von Kohle und Stahl

Früher war es im Ruhrgebiet laut und dreckig, heute ist es grün und schön – nicht überall, aber immer mehr. Eine kleine Liebeserklärung.
von Heinrich Peuckmann · 20. September 2018

Wenn auf der Kamener-Zeche Monopol Kokskohle abgestochen wurde, rannte meine Mutter in den Garten und trug die zum Trocknen aufgehängte Wäsche ins Haus. Kurz drauf segelten nämlich Ruß-partikel durch die Luft und wäre sie nicht schnell genug gewesen, hätte sie noch einmal waschen müssen. Abends schimmerte der Himmel im Westen rosa und wir wussten, dies ist kein Abendrot wie an der Nordsee. Damals floss bei Phoenix in Dortmund flüssiger Stahl aus der Thomasbirne, dort, wo sich jetzt ein wunderbarer See erstreckt. Die Emscher, die in meiner Nähe entspringt, habe ich eines Tages lila gesehen. Giftig lila. Unglaublich, welche Abwässer in den armen Fluss gekippt worden sind. Und die wunderbaren Fußballspiele mit meinen Freunden fanden nie bei strahlendem Sonnenschein statt. Bei uns war es immer diesig.

An der Ruhr ist man solidarisch

Das ist also meine Heimat und da kann ein normaler Mensch nur denken: weg hier, so schnell und so weit wie möglich. Aber ich bin immer noch hier. Was ist los mit mir? Liebe ich verstaubte Luft und eine zerstörte Umwelt? Nein, natürlich nicht. Denn diese Kindheitsbilder sind ja nur der eine Teil des Ruhrgebiets. Jener freilich, der außerhalb als einziges Bild zur Kenntnis genommen wurde – und immer noch wird. Aber das Ruhrgebiet ist mehr als das. Solidarität, oft beschworen, vor allem in den Sonntagsreden von Politikern, gibt es hier wirklich. Ich weiß, wenn ich irgendwann im Dreck liege, kommt jemand angelaufen, um mir zu helfen. Ob es mir nützt, ist eine andere Frage, aber versuchen wird er es. Solidarität zeigt sich auch beim Umgang mit Migranten, mit den Türken etwa, die hier in großer Zahl leben. Bei uns gibt es keine „Ruhr-Pegida“, undenkbar, bis jetzt jedenfalls. Wir sind doch von Geburt an ein Schmelztiegel. Als es losging mit Kohle und Stahl, sind die Arbeiter von überall hergekommen, aus Schlesien, Ostpreußen und – ja – aus Bayern. Bis heute gibt es Alpenvereine, Leute in krachledernen Hosen, die furchtbar schreien, was sie -jodeln nennen, aber egal, wir ertragen das. Wie so vieles.

Nur halb geglückte Integration

Geholfen bei der Integration hat übrigens der Fußball, was erklärt, weshalb er bei uns eine so wichtige Rolle spielt. Dieser oder jener kam aus Polen und katholisch war er auch noch, aber lass ihn in Ruhe. Der schwärmt für Borussia oder Schalke. Wenn ich heute türkischstämmige Jugendliche nach ihrem Lieblingsverein befrage, nennen sie einen aus dem Ruhrgebiet, dazu einen aus -Istanbul. Was dann doch ein Problem aufzeigt. Halb geglückt die Integration, aber noch nicht ganz. Das bestätigt auch die wachsende Zahl an AfD-Wählern, auch wenn dahinter weniger Ausländerhass steckt als eine sich verschärfende soziale Situation. Während Dresden kaum Migranten hat – wir dagegen jede Menge, darunter auch welche, die unsere Freunde sind, ist das Problem bei uns mit deutlich weniger AfD-Wählern immer noch überschaubar.

Und wir können Ironie vertragen. Gut, wir verstehen sie nicht immer, das stimmt, aber wenn, dann können wir lachen. Sogar über uns. Wer kann das schon? Dafür nehme ich sogar, schweren Herzens, die Kulturferne in Kauf. „Wat willze mit dat Buch?“

Anquatschen, wie wir das nennen, kann man im Ruhrgebiet jeden. Wir sind offen bis zur Treuherzigkeit. Und grün ist es geworden seit dem Ende von Kohle und Stahl. Oberhausen, eine Stadt mit Rekordverschuldung, gehört zu den grünsten Städten Deutschlands. Als ich eine Gruppe Schriftsteller durch Dortmund führte, habe ich zum Schluss gesagt, dass es -einen Satz gibt, den wir nicht mehr hören wollen. „Das ist aber grün hier.“ Wir leben nicht mehr auf der Kohlenhalde, habe ich erklärt. Worauf eine Kollegin antwortete: „Dass es hier grün ist, wusste ich. Aber dass es sooo grün ist ...“

Wie kommt es dann, dass ich in meinen Geschichten so gerne vom alten Ruhrgebiet berichte? Ich bin doch kein Nostalgiker, im Gegenteil, ich bin froh, wie schön der halb bewältigte Strukturwandel das Ruhrgebiet gemacht hat. Das ist dann wohl Heimat, denke ich. Denn was sollte sie anders sein als die Erinnerung an eine geglückte Kindheit, selbst in Lärm und Staub?

Autor*in
Heinrich Peuckmann

lebt in seinem Geburtsort Kamen. Der ehemalige Lehrer ist bekannt als Autor von Kriminal- und Ruhrgebietsromanen.

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