Heimat ist ein sozialdemokratischer Begriff
Für historisch Interessierte, demokratisch Bewegte und europäisch Begeisterte steht das Hambacher Schloss in Neustadt an der Weinstraße für das harte Ringen von Menschen aus ganz Europa für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Für die meisten Pfälzerinnen und Pfälzer, die historisch kundig und äußerst wortreich von den Ereignissen des Hambacher Fests von 1832 zu berichten wissen, ist das Hambacher Schloss aber vor allem eines: Heimat. Heimat und Demokratie sind hier untrennbar miteinander verbunden, in der Südpfalz verbindet sich Heimat- mit Demokratiepflege.
Die Südpfalz war in ihrer Geschichte – wie viele andere Grenzregionen auch – immer wieder Durchmarsch- und Aufmarschgebiet. Menschen kamen dorthin, blieben, hinterließen ihre Prägungen. Flüchtlinge gab es dort schon immer. Sie hießen nur nicht schon immer so. Ein völkischer Begriff von Deutschsein scheitert dort am Faktischen. Es gibt französische, italienische, türkische und schweizerische Wurzeln – und alle zusammen sind sie Pfälzer.
Kein Urheberrecht auf Heimat
Ich komme aus der Südpfalz. Was ich über Heimat weiß und dabei fühle, habe ich dort gelernt und erlebt.
Für den einen ist Heimat der Ort der Kindheit, für die andere ist es die Geborgenheit der Familie. Manch einer denkt dabei an den Klang der Muttersprache oder die Pflege der eigenen kulturellen Bräuche und Traditionen. Andere sagen: Heimat ist ein wohliges Gefühl, ein bekannter Geschmack oder ein lange vergessener Geruch. Dort wo persönliches Glück, Sicherheit und Lust auf Neues im Einklang sind. Allerdings: Für nicht wenige hat der Heimat-Begriff etwas Muffiges, ist der Inbegriff von bürgerlicher Langeweile, dörflicher Enge und kultureller Trägheit. Keine dieser Deutungen von Heimat ist richtiger als die andere.
Es gibt kein Urheberrecht auf Heimat. Heimat ist nichts Exklusives. Heimat hält es aus, dass jemand dazu kommt. Wer mit ihr im Reinen ist, dem fällt es leicht, dort andere willkommen zu heißen. Und wem Menschen mit dieser offenen Vorstellung von Heimat begegnen, der hat es leichter, in der neuen Heimat Fuß zu fassen.
Heimat ist etwas, das stetig neu erfunden und neu geschaffen wird – und damit in die Zukunft gerichtet ist. Heimat und Zukunft, dieses nur auf den ersten Blick sich widersprechende Begriffspaar, gehört daher zusammen. Das Gefühl des Angekommen Seins, das viele mit dem Heimat-Begriff verbinden, impliziert nicht umsonst die Reise dorthin. Wer angekommen und mit sich im Reinen ist, richtet den Blick nach vorne, nicht zurück.
Heimat kann daher nie ein statisches Mauerwerk sein, wie manche es in diesen Zeiten zu errichten versuchen. Ein solcher in die Zukunft gerichteter Heimat-Begriff passt genau genommen so gar nicht zu den politischen Rechten, deren Weltbild statisch und rückwärtsgewandt ist.
Heimat heißt nicht Nationalismus
Fragt man Menschen danach, was sie mit Heimat verbinden, folgt in der Regel keine abstrakte, philosophische Diskussion. Für die allermeisten Menschen ist Heimat dort, wo man sich wohlfühlt. Und dieses Sich-Wohl-Fühlen ist an Voraussetzungen geknüpft, die Politik schaffen kann, aber nicht nur Politik. Menschen wollen, dass es gut zugeht bei ihnen vor Ort. Und sie wollen in der Nachbarschaft oder in der Gemeinde die entsprechenden Bedingungen dafür schaffen. Dort entsteht erstes Engagement – in den Schulen, im Elternbeirat, bei der Feuerwehr, im Sportverein oder im Gemeinderat. Dort wird Heimat gestaltet: Fährt der Bus? Praktiziert ein Arzt? Ist das Vereinsleben intakt? Dieses Engagement in der Heimat ist oft der Anfang von Politik.
Ich sage daher: In der Heimat wachsen Demokratinnen und Demokraten heran. Wenn Demokratie aus dem Möglichmachen von Heimat für viele Menschen besteht, dann ist Demokratie ganz bei sich, „so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“, wie es bei Ernst Bloch heißt. In seiner lebensweltlichen Übersetzung ist der Heimat-Begriff daher ein zutiefst demokratischer, ja sozialdemokratischer Begriff.
Viele Linke, darunter nicht wenige Sozialdemokraten, verspüren bei dem Wort Heimat noch immer ein Unbehagen. Sie lehnen ihn wegen seiner vermeintlich nationalistischen Färbung ab. Dabei hat eine sozialdemokratische Deutung von Heimat mit Nationalismus nichts zu tun. Patriotismus und Nationalismus sind Begriffe, die nicht dasselbe meinen. Johannes Rau sagte einmal: „Ich will nie ein Nationalist sein, aber ein Patriot wohl. Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt, ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet. Wir aber wollen ein Volk der guten Nachbarn sein, in Europa und in der Welt.“ Deswegen kann ein Sozialdemokrat kein Nationalist sein.
Das Verständnis der Rechten von Heimat ist: Wir gegen die. Oder: Wir ohne die. Solche nationalistischen (Um-)Deutungen von Heimat vergiften unser gesellschaftliches Klima. Mit dieser engen, ausgrenzenden, ja menschenfeindlichen Auffassung gilt es, die Auseinandersetzung zu führen. Wir müssen den Heimat-Begriff den Rechten entreißen und ihre Versuche aufdecken, ihn zu vereinnahmen. Jedem Versuch von Rechtsaußen, sich diesen Begriff anzueignen, müssen sich Demokratinnen und Demokraten entgegenstellen. Und die demokratischen Traditionen der eigenen Heimat – auch die gibt es – nutzen und schützen.
Wenn die AfD und andere in jüngster Zeit Versuche unternehmen, sich das Hambacher Fest von 1832 zu eigen zu machen und nationalistisch umzudeuten, müssen alle aufstehen, die nicht aufgeben möchten, wofür Hambach wirklich steht – nämlich für eine der freiheitlich-demokratischen Wurzeln meiner pfälzischen Heimat, aber auch Deutschlands und Europas. Das wäre wahre Heimatpflege. Demokratisch.
ist Minister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung in Rheinland-Pfalz.