Debatte

Feminismus: Gleichberechtigung ist auch eine Frage der Sprache

Ist es ein Unterschied, ob man von Kolleginnen und Kollegen spricht oder nur von Kollegen? Ja sagt die Sprachwissenschaftlerin Ingrid Samel. Denn ob Frauen und Männer gleichberechtigt miteinander leben, entscheidet sich auch anhand der Sprache.
von Ingrid Samel · 27. Oktober 2017

In den 1970er Jahren standen noch Sätze wie „Der Mann liest die Zeitung, die Frau liest Erbsen“ in bundesrepublikanischen Schulbüchern. Weil es Frauen gab, die es beanstandet haben, sind solche Sätze verschwunden. Noch nicht so lange ist es allerdings her, dass eine junge Frau in einem Verlag vor mir stand und behauptete, Feminismus habe sie nicht nötig – es ging um Beidnennungen im Text wie „Kolleginnen und Kollegen“. Und sie wechselte auch gleich das Thema. Weggewischt war so jede Möglichkeit, über Gleichberechtigung oder Strategien zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Sprache mit ihr zu diskutieren.

Die Errungenschaften des Feminismus sind nicht selbstverständlich

Die heutige Generation profitiert von den Errungenschaften ihrer Mütter und Großmütter und hält diese für selbstverständlich. Doch diese Errungenschaften sind nicht sicher und nicht alles läuft rund. Und natürlich setzen sich Frauen für die Belange der Frauen ein und nicht so sehr Männer.

„Die Unsichtbarkeit von Frauen ist eine subtile Form der Diskriminierung“, sagt die Schauspielerin Maria Furtwängler im Juli dieses Jahres über das Vorkommen von Frauen in Kino und TV. Frauen ab 30 kommen laut ihrer Studie immer seltener vor und kaum in relevanten Gesellschaftsrollen. Furtwängler sieht darin stereotype Bilder von Frauen und ihren Möglichkeiten und wünscht sich eine breitere Diversität des Frauenbildes in den Medien. Wir brauchen Geschichten, sagt sie, Vorbilder, um das zu ändern. Eines der größten Probleme von Frauen sind die verengenden gesellschaftlichen Rollenerwartungen und -zuweisungen, wie sie auch die Medien abbilden. Nicht von ungefähr sprechen wir von Gender, vom sozialen Geschlecht.

Unser Sprechen schafft neue Wirklichkeiten

Die Formen der Diskriminierung von Frauen zeigen sich nicht nur in Bildern, die wir von dem haben, was Frauen machen oder sind, sondern immer auch in der Sprache. Denn unser Sprechen bildet ebenfalls Wirklichkeiten ab und schafft neue. Da die Sprachverwendung Einfluss auf Wahrnehmung und Denken hat, ergibt so das Tun das Sein, das Denken schafft sich eine Wirklichkeit, das Sprechen ein Gemeintes. Wir denken an Frauen, wenn sie genannt sind. Sind sie es nicht, denken wir, wie es das generische Maskulinum Kollegen quasi suggeriert – überwiegend an Männer. Auch dazu gibt es Studien.

Ein großes feministisches Anliegen war lange der Kampf gegen sexistischen Sprachgebrauch, der sich in bestimmten Ausdrucksweisen oder z. B. in Beschimpfungen von Frauen wegen ihres Frauseins zeigt. Die Sichtbarmachung der Frauen, damit sie identifiziert werden, und Symmetrie der Bezeichnungsarten waren die Gegenstrategie. Im öffentlichen Sprachgebrauch sind wir heute daher sensibel für Personenbezeichnungen. Gendern („Kolleginnen und Kollegen“) ist im Rahmen von Gleichbehandlungsgrundsätzen Konsens.

Sichtbarkeit führt über die Sprache

Die Nennung der femininen Form neben der maskulinen ist und war schon immer auch eine Art von Selbstvergewisserung in einer Gesellschaft, die Frauen noch zu oft in ihrem Tun verharmlost oder zurechtweist. Wir nennen im Allgemeinen beide Geschlechter, um die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an der Gesellschaft zu verdeutlichen. Heute verschaffen sich auch Transgender und andere Personen Gehör und Sichtbarkeit (s. Kasten). Sexuelle Identität (Mann, Frau, Transgender …) ist hier eine Kategorie in der Diskussion um doing gender (das Aushandeln von Geschlecht), der Grund für eine besondere Sprachverwendung ist die soziale Rolle (engl. gender), die man Menschen zuweist.

Gender meint soziale Zuschreibung, meint die geschlechtsspezifische Besetzung von Berufen, meint die Entlohnung von Erwerbsarbeit und die Verteilung von Arbeitszeit. Überall dort sind die Rollen von Frauen und Männern unterschiedlich besetzt. Wir haben neue Gesetze und neue gesellschaftliche Lebensformen. Der Vielfalt von Lebensentwürfen wird man sprachlich gerechter, wenn man Texte unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten und nicht diskriminierend verfasst.

Die sprachliche Beanspruchung von Männerrollen

Die Vorschläge zu dieser Sprachverwendung haben oft hohe Wellen geschlagen. Natürlich meint der Plural „Geflüchtete“ dasselbe wie „Flüchtlinge“, vermeidet aber als abschätzig empfundenes -ling; statt „Lehrling“schreiben wir „Auszubildende/r“. Alle Berufe sind sowohl in maskuliner wie in femininer Form in den Ausbildungsverordnungen aufgenommen. Wir benutzen den Gender-Code für Menschen beiderlei Geschlechts, indem wir beide nennen, wenn beide gemeint sind, oder wir verwenden neutrale Ausdrücke.

Gleichzeitig mit der geschlechtsspezifischen Sprachverwendung fällt mir ein Rückschritt gegenüber den 1990er Jahren auf. Nicht nur wird das generische Maskulinum für gemischte Gruppen manchmal wiederverwendet wie oben, sondern auch für Einzelpersonen. Einige junge Frauen sagen wieder: „Ich bin Arzt“, aber mehr Frauen sagen: „Ich bin Lehrerin“. Gruppenspezifische Sprachverwendung sagt hier auch etwas über die jeweilige Einschätzung der Wertigkeit von Rollen aus. In einigen Berufen scheinen sich Frauen sozial aufwerten zu wollen, indem sie die Männerrolle auch sprachlich für sich beanspruchen.

Feminismus ist auch Sprachpolitik

Merklich und sichtbar krass wird eine persönliche Situation, wenn Familien gegründet werden. Auch meine eigene neu hinzugekommene Familie erlaubte sich damals die anachronistisch wirkende Frage: „Willst du denn wirklich arbeiten?“ Es war ihnen noch nicht einmal peinlich. „Ja“, sagte ich, „ich werde arbeiten, damit ich mich und mein Kind ernähren kann“, und bewarb mich neu. Der nächste Arbeitgeber (ein Maskulinum, das sich so im Sprachgebrauch hält) bot mir nach der Erziehungszeit viel weniger Lohn für dieselbe Arbeit. Hat sich heute an solchen Situationen etwas geändert? Es wäre zu schön.

Eine Geschichte zu erzählen ist manchmal vielleicht wirkungsvoller, als Forderungen zu stellen; in Geschichten stecken wir mit drin, wir vergleichen unsere Bilder mit den vorgestellten. Kulturelle und soziale Teilhabe haben Frauen, wenn es ihnen in ihrer Gesellschaft gut geht. Wir sollten dafür die richtigen Rollen und Bilder finden und die Sprache entsprechend verwenden. Feminismus war schon immer auch Sprachpolitik.

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Autor*in
Ingrid Samel

ist wissenschaftliche Sprachberaterin für das Deutsche.

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