Debatte

Direkte Demokratie: Warum die „Volksgesetzgebung“ ein Irrweg ist

Der Politikwissenschaftler Frank Decker hat ein Buch zur „Volksgesetzgebung“ geschrieben. Lange war das Thema eine Herzensangelegenheit der SPD, die Union war stets gegen mehr direkte Demokratie. Wie können die Bürger mehr Einfluss auf die Politik nehmen?
von Renate Faerber-Husemann · 23. März 2017
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Es war immer die engagierte Forderung linker Politiker, die Bürger stärker an der Demokratie zu beteiligen. Es reiche nicht aus, mündige Wähler nur alle paar Jahre ihr Kreuzchen auf einen Wahlzettel setzen zu lassen. Das führe zu Gleichgültigkeit gegenüber Parteien und Politik. So argumentierte vor allem die SPD über viele Jahre und durfte sich der Zustimmung politisch wacher Bürger sicher sein.

Nun hat der Bonner Politik-Professor Frank Decker dazu ein – nicht ganz einfach zu lesendes – skeptisches Buch vorgelegt. Der Titel: „Vom Irrweg der Volksgesetzgebung“.

Keine Mehrheit für Volksabstimmungen im Bund

Seiner Meinung nach taugt dieses Instrument nicht, um die Krise der repräsentativen Institutionen zu beheben: „Im Bund kommen nur solche Formen direkter Demokratie in Frage, die den Vorrang des Bundestags als Gesetzgeber unangetastet lassen.“ Für Volksentscheide auf Bundesebene müsste das Grundgesetz geändert werden. Dazu wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig. Und die wird es – zahlreiche Vorstöße in der Vergangenheit zeigen das – kaum geben.

Heute schon gibt es auf kommunaler Ebene den Bürgerentscheid und auch in den Verfassungen der Bundesländer gibt es Verfahren der Volksgesetzgebung. Befürworter von mehr direkter Demokratie wollen dieses Instrument nun auch auf Bundesebene einführen. Gerade hat die CSU einen neuen Vorstoß gewagt und ihre Parteimitglieder  dazu befragt.

Direkte Demokratie: Gesinnungswandel in der Union

Über viele Jahre war die direkte Demokratie ein Thema von SPD, Grünen, Linken und FDP, die Union war stets dagegen. Warum nun der Gesinnungswandel ausgerechnet in diesen populistischen Zeiten? Decker schreibt dazu: „Die Debatte erscheint in hohem Maße von Opportunismus geprägt. Wenn einem das Ergebnis einer konkreten Abstimmung nicht passt – wie soeben wieder beim Brexit – sieht man sich in der Skepsis gegenüber Volksentscheiden bestätigt.“ Bundespräsident Theodor Heuss, wahrlich ein Demokrat durch und durch, nannte Plebiszite „eine Prämie für jeden Demagogen“. Und wenn man nun während des CSU-Parteitages von Markus Söder hören musste, er könne sich einen Volksentscheid zur Flüchtlingsfrage vorstellen, dann sollten sämliche Warnlampen angehen!

Je nach Umfrage sprechen sich 70 bis 80 Prozent der Bürger für Volksentscheide auch auf Bundesebene aus. Wenn es aber konkret wird, beispielsweise bei Bürgerentscheiden in den Kommunen, dann bleibt häufig die Mehrheit zu Hause. Jüngstes Beispiel: Als in Münster über das Thema „verkaufsoffene Sonntage“ abgestimmt und dies abgelehnt wurde, beteiligte sich nicht einmal jeder vierte Bürger. Eine Minderheit hat also entschieden, dass die Läden sonntags künftig geschlossen bleiben.

Sinnvoll: Bürgerentscheid auf kommunaler Ebene

Dennoch sind Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene sinnvoll: Über Schwimmbäder, Schulen oder die Neugestaltung der Stadtmitte können die Bürger kompetent nicht nur mitreden, sondern auch mitentscheiden. Wenn es im Bundesparlament um komplizierte Themen wie etwa die Rente geht, dann sieht das schon anders aus.

Dennoch könnten die Bürger, ohne die repräsentative Parteiendemokratie anzugreifen, sehr viel mehr Einfluss nehmen, um ihren Willen durchzusetzen: Durch Petitionen und Demonstrationen, durch die direkte Konfrontation der gewählten Abgeordneten mit ihren Forderungen, durch die Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen und die Mitgliedschaft in einer demokratischen Partei. Wer wiedergewählt werden möchte, wird ihnen aufmerksam zuhören.

Frank Decker: „Der Irrweg der Volksgesetzgebung“, Verlag J.H.W. Dietz, 184 Seiten, 16,90 Euro, ISBN: 978-3-8012-0469-3

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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