Debatte

Die SPD muss sich an die eigene Nase fassen

In Zeiten klammer Kassen ist es mehr als berechtigt die Frage zu stellen, was Kulturförderung legitimiert und wer sie an wen verteilt. Wenn dabei das Prinzip „einmal gefördert – immer gefördert“ etwas angekratzt wird, hat das sicher sein Gutes.
von Peter Ruhenstroth-Bauer · 6. Februar 2015
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Wolfgang Thierse hat in seinem Eröffnungsbeitrag zur Debatte „Kultur für alle“ die wichtigen Schlüsselpunkte angesprochen, wenn er unter anderem für eine Einstellungsveränderung in der sozialdemokratischen Kulturpolitik plädiert. Die ist auch bitter nötig. Man erinnere sich noch an 2012: das Aufheulen, als die Autoren Haselbach, Klein, Knüsel und Opitz mit dem Buch „Kulturinfarkt“ auf den Markt kamen.

Ganz unabhängig davon, ob man die dort beschriebene Reformunfähigkeit der Kulturinstitutionen teilt oder nicht – natürlich war es wichtig, dass eine Debatte neu angestoßen wurde, wer und was Kultursubventionen legitimiert. Nicht nur in Zeiten extrem klammer kommunaler Kassen ist es mehr als berechtigt, diese Frage zu stellen. Wenn dabei das Prinzip „einmal gefördert – immer gefördert“ etwas angekratzt wird, hat das sicher auch sein Gutes.

Kultur nicht gegen Soziales ausspielen

In Bonn wird gerade diskutiert, wie man vom annähernd 1,7 Milliarden Euro großen Schuldenberg herunterkommt. Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) und seine Verwaltung haben dazu Einsparvorschläge dem Bonner Rat und damit auch der Jamaika-Mehrheit vorgelegt. Darunter 8 Millionen Euro Einsparung bei der Oper und dem Schauspiel Bonn bis 2023. Eine Theaterspielstätte soll geschlossen werden.

So sieht die kommunale Realität aus. Man wird also fragen müssen, wie die Politik die Rahmenbedingungen so gestalten kann, dass die BürgerInnen eben nicht auf das von Wolfgang Thierse zu Recht befürchtete Ausspielen von Kultur und Sozialem kommen. Darauf hat er leider auch noch keine befriedigende Antwort gegeben. Nur eines ist klar: Die Kommunen können die wertvolle und breite Kulturlandschaft nicht mehr lange so umsetzen, dass der Kulturetat am Ende nicht doch zur finanziellen Entlastung herhalten muss. Da haben alle Parteien die Kommunen ziemlich allein gelassen. Erst jetzt – sehr, sehr spät – beginnt man, die Bund-Länder-Kommunen-Finanzbeziehungen anzupacken. Das wäre der erste, wichtige Schritt, den sozialdemokratische Kulturpolitik verlangen muss. Macht endlich in diesem Punkt eure Hausaufgaben!

TTIP – alles halb so wild?

Wolfgang Thierse hat noch auf einen weiteren wichtigen Aspekt hingewiesen, der uns zukünftig noch beschäftigen wird: die  Veränderungen und letztlich auch die Infragestellung der Handlungsspielräume nationaler Kulturpolitik durch das Freihandelsabkommen TTIP. Wolfgang Thierse ist mit seiner Befürchtung nicht allein.

Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste und als TTIP-Kritiker im Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums, sieht durch das Abkommen die Gefahr einer grundsätzliche Änderung unserer Kulturlandschaft. Das aber hält der Bundeswirtschaftsminister und SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel für „diffuse Ängste“. Viele Befürchtungen seien unbegründet.

Wolfgang Thierse hat aber nicht ohne Grund auf TTIP verwiesen: Auch im Bereich „Öffentliche Dienstleistungen und Kultur“ steckt mehr hinter dem TTIP-Vorhang, als das Vizekanzleramt bislang verlauten lässt. Die SPD wird dazu am 23. Februar im Willy-Brandt-Haus auf der Konferenz „Transatlantischer Freihandel – Chancen und Risiken“ diskutieren. Ein Thema, bei dem sich sozialdemokratische Kulturpolitiker aktiv einmischen müssen – und zwar jetzt!

Kulturpolitik – öfter quer denken

Das Kulturpolitik schon lange nicht mehr isoliert auf einem einzigen Politikfeld gedacht werden darf, ist für viele Akteure immer noch ein Problem. Dass zum Beispiel die Kreativ-Wirtschaft einen Stellenwert eingenommen hat, der auch unter ökonomischen Gesichtspunkten für unser Land relevant ist, scheint mittlerweile angekommen zu sein. Im Kreativpakt e. V. haben Kulturschaffende schon 2011 gefordert, dass es ein neues Bündnis von Kultur, Wirtschaft und Politik geben müsse. Unter dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier wurde das Projekt „Zukunft-Deutschland 2020“ der SPD-Bundestagsfraktion gestartet.

Der Kreativpakt e. V. hat die Arbeit der SPD Fraktion in diesem langfristig angelegten Prozess begleitet. Nach dem Motto „Politik trifft Wirklichkeit“ saßen plötzlich die Kreativen zusammen in einer Arbeitsgruppe mit den Kultur- und MedienpolitikerInnen, den Arbeits- und SozialexpertInnen der Fraktion und den WirtschaftspolitikerInnen. In den Querschnittsarbeitsgruppen wurde über Bildungspolitik, Kulturförderung, Netzpolitik, soziale Sicherung, Urheberrecht und Wirtschaftsförderung diskutiert. Vieles von den Ergebnissen dieser gemeinsamen Arbeit ist im Koalitionsvertrag der großen Koalition gelandet. Ein Erfolg, den sich die Sozialdemokratie gemeinsam mit den Kreativen erarbeitet hat.

Kulturschaffende selbst entscheiden lassen

Das hat funktioniert, ergab erhebliche Lernprozesse auf beiden Seiten und hat gezeigt, dass Kulturschaffende zu Ihrer eigenen Situation weit mehr zu sagen haben, als nur alle dreieinhalb Jahre aufgefordert zu werden, sich eine Kulturinitiative zur Unterstützung der SPD anzuschließen. Das ist der Proof für sozialdemokratische Kulturpolitik, den die SPD-Bundestagsfraktion bei vielen Kulturschaffenden abgelegt hat. Daran, muss sie jetzt – politikfeldübergreifend – dringend weiterarbeiten. Wenn das gelingt, dann wird das auch mit dem neuen Denken, das Wolfgang Thierse einfordert, gar nicht so schlimm.

Und dann liegen die Themen  und Schwerpunkte auf der Hand – sie finden sich in jedem kommunalpolitischen Brennglas: Vielfalt, Teilhabe und natürlich alle Faktoren, die zu einer funktionierenden Zivilgesellschaft dazugehören. Wir müssen Wege suchen, die sehr konkret auch die Finanzierungskorridore der Kommunen sichern, und die bisher eingefahrene Strukturen in Frage stellen. Die SPD war in der Kulturpolitik deshalb immer soweit vorne, weil sie Ideen und Perspektiven entwickelt hat. Dazu gehören Meilensteine wie die Künstlersozialversicherung.

Neues wagen ohne Denkverbote

Jetzt aber sind wir in einer neuen Phase. Wir müssen Strukturen weiterentwickeln und dürfen uns nicht von vornherein Denkverbote auferlegen. Der von Frank-Walter Steinmeier begonnene Diskurs mit der Kreativ-Wirtschaft hat zu handfesten Ergebnissen geführt. Thomas Oppermann nimmt den Faden in dieser Legislatur wieder auf. Das ist auch dringend notwendig, denn Querdenken und Querhandeln sind die besten Treiber für neue Ideen in der Kulturpolitik.

Autor*in
Peter Ruhenstroth-Bauer

war Staatssekretär bei Renate Schmidt und ist heute Kommunikations- und Strategieberater. Er gehört zu den Mitgründern des Kreativpakt e. V.

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