Die SPD, der Abrissbagger und die Restauratoren
Es kommt ja nicht von ungefähr, dass Wolfgang Thierse eine Verbindung herstellt von Politik und Kulturpolitik. Er ordnet das große Zeitalter sozialdemokratischer Kulturpolitik dem „goldenen Jahrzehnt der Sozialdemokratie“ zu. Mit anderen Worten: Es gibt keine wahre Kulturpolitik in der falschen Politik. Falsche Politik wäre dabei schon ein Euphemismus. Denn der Prozess der letzten Jahrzehnte bestand in einer Entpolitisierung der Politik, in einer immer größeren Anfälligkeit der repräsentativen Demokratie, politische Entscheidungen den Interessen des Shareholdervalue, des „Marktes“, des „Wachstums“ unterzuordnen.
Wenn eine Partei wie die SPD beschließt, die ursprünglich von der Hartz-Kommission vorgeschlagene Unterstützungszahlung zu halbieren (stellvertretend sei diese Sünde für etliche andere genannt), dann hält sich mein Interesse, über kulturelle Initiativen der SPD zu sprechen, in Grenzen. Das ist so, als würde jemand ein Haus wegbaggern lassen – und danach veranstaltet er anspruchvolle Workshops mit Restauratoren, bei denen erörtert wird, was von den Überbleibseln vielleicht noch zu retten sei.
TTIP und CETA: Die Demokratie steht zur Disposition
In den Verhandlungen um die sogenannten Freihandelsabkommen TTIP und CETA steht gebündelt das zur Disposition, was Demokratie ausmacht. Zustimmung zu einem Abkommen, in dem nationale Gesetzesvorhaben erst transatlantisch abgestimmt und die Geltung von Gesetzen später durch private Schiedsgerichte einseitig ausgehebelt werden kann, bedeutete die kaum mehr umkehrbare Aufgabe des Primats der Politik gegenüber privaten Wirtschaftsinteressen.
Solange das Verhältnis der SPD dazu nicht geklärt ist – der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel hat durch seine widersprüchlichen Äußerungen zur Beunruhigung wiederholt Anlass gegeben – fehlt mir die Grundlage, um engagiert über Kulturpolitik nachzudenken. Zu einer über sich selbst aufgeklärten Kultur gehört es, Distanz zum Eigenen zu entwickeln und immer wieder den Versuch zu unternehmen, sich selbst auch mit den Augen der anderen zu sehen.
Warum wird das Geld für die Kultur immer knapper?
Ich halte Thierses Haltung für problematisch, die sich in dem Satz ausdrückt: „Wir werden den Kampf um das knapper werdende Geld jedes Mal verlieren, wenn wir Werte und Leitideen nicht klar formulieren können.“ Vorausgesetzt, wir können uns darüber verständigen, dass nicht alles mit Geld zu lösen ist, aber Geld vieles ermöglichen oder erleichtern kann, müsste der zitierte Satz zum Gegenstand der Kritik gemacht werden. Warum wird eigentlich das Geld immer knapper? Rekordbeschäftigung, Rekordsteuereinnahmen, die EZB „flutet“ die Finanzmärkte mit aberwitzigen Milliardensummen, geringe Zinsbelastungen bei Schulden (die Zeche bezahlt der finanziell solide Normalbürger) – unsere wirtschaftliche Situation kann, gemessen an offiziellen Kriterien, offenbar kaum besser werden. Wieso wird das Geld für die Kultur dann immer knapper? Diese Frage zu stellen, wäre für mich eine zentrale Aufgabe von Kulturpolitik.
ist ein deutscher Schriftsteller, der auch politisch Position bezieht, etwa mit seiner Dresdner Rede gegen eine marktkonforme Demokratie.