Debatte

Die Kindergrundsicherung ist besser als ein Grundeinkommen für alle

Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle schafft nicht mehr Gerechtigkeit, sondern kann sogar soziale Errungenschaften gefährden. Das Zukunftsforum Familie e.V. (ZFF) streitet deshalb für die Einführung einer einkommensabhängigen Kindergrundsicherung, um Kinderarmut sinnvoll und sozial gerecht zu bekämpfen.
von Alexander Nöhring · 7. Dezember 2016
Kindergrundsicherung vs Grundeinkommen
Kindergrundsicherung vs Grundeinkommen

Auf den ersten Blick erscheint die Vorstellung verlockend: Ein Grundeinkommen nach dem Gießkannenprinzip, ohne Bedingung und damit ohne bürokratischen Aufwand, für jede und jeden. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, das ein solches Instrument weit über das Ziel hinaus schießt und sogar kontraproduktiv sein kann.

Arbeitergeber*innen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen!

Als ZFF sehen wir die Gefahr, dass die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) Anstrengungen zu einer sozial gerechten Arbeitsmarktpolitik, wie beispielsweise tarifvertraglichen Errungenschaften, entgegensteht. Bei den Befürworter*innen des Grundeinkommens ist auch der gesetzliche Mindestlohn umstritten. Das ZFF hingegen ist der Überzeugung, dass die Arbeitgeber nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden dürfen, für existenzsichernde und rentenfeste Löhne zu sorgen und die Realisierung von Bedingungen guter Arbeit zu erreichen, wie beispielsweise Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Lohngerechtigkeit, Work-Life-Balance und Gesundheitsmanagement.

Darüber hinaus erkennt das ZFF in einem BGE einen Widerspruch zum Ziel der Geschlechtergerechtigkeit: Es stünde dem feministischen Ideal einer eigenständigen Erwerbstätigkeit als emanzipatorische Praxis gegenüber. Zudem könnte es dazu führen, die aktuelle „Care-Krise“ zu verschärfen, anstatt sie zu mildern: Gut bezahlte (männliche) außerhäusliche Erwerbsarbeit stünde einer (weiblichen) privaten Fürsorgetätigkeit gegenüber, die durch ein bedingungsloses Grundeinkommen zwar abgesichert, aber nicht ebenso gut entgolten wäre.1

Existenzsichernde Löhne und gute Arbeit

Für das ZFF steht die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums durch eigenständige Erwerbsarbeit an erster Stelle. Diese sorgt nicht nur für gesellschaftliche Wertschöpfung, sondern kann gleichfalls die Emanzipation von wirtschaftlicher Abhängigkeit unterstützen. Darauf hat u.a. auch Christoph Butterwegge in seinem Beitrag zu dieser vorwärts-Debatte hingewiesen.

Allerdings reicht Erwerbsarbeit heute vielfach nicht mehr aus, um die eigene Existenz tatsächlich abzusichern. Existenzsichernde Löhne und Bedingungen guter Arbeit – wie etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Gesundheitsförderung oder die Mitbestimmung – sind hierfür Grundvoraussetzungen, die es immer wieder aufs Neue zu erstreiten und zu verteidigen gilt.

Jede*r fünfte Minderjährige lebt in Armut

Innerhalb unserer Gesellschaft leben jedoch auch zahlreiche Menschen, die auch unabhängig von den Arbeitsbedingungen nicht dazu in der Lage sind, ihre Existenz eigenständig zu sichern. Dazu gehören beispielsweise viele pflegebedürftige Menschen, viele Menschen mit Behinderungen sowie Kinder und Jugendliche. Immer noch lebt in Deutschland jede*r fünfte Minderjährige in Armut. Es ist nicht nur im Sinne des Grundgesetzes geboten, ihr soziokulturelles Existenzminimum zukünftig besser abzusichern als bisher.

Der Satz „Dem Staat und der Gesellschaft sollte jedes Kind gleichviel wert sein“ gewinnt hier eine besondere Bedeutung: Als ZFF meinen wir, dass dies nicht bedeutet, dass auch alle gleichviel ausbezahlt bekommen müssen. Es muss aber sichergestellt sein, dass alle Kinder auch tatsächlich ein Existenzminimum erhalten, welches zum Leben ausreicht und die soziokulturelle Teilhabe ermöglicht. Und um es deutlich zu sagen: Die derzeitigen Kinderregelsätze im SGB II/XII sind hierfür zu gering!

Können Eltern für die Existenz ihrer Kinder alleine sorgen, so muss hier der Staat nicht eingreifen, höchstens im Sinne eines Ausgleichs für entstandene Nachteile (Verdienstausfälle bei Arbeitszeitreduzierung, Rentenausfälle u.v.m.). Familien, die jedoch die eigenständige soziokulturelle Existenzsicherung nicht erreichen, sollten deutlich stärker unterstützt werden, als dies heute der Fall ist.

Kinderarmut muss in Zukunft der Vergangenheit angehören!

Das Konzept der Kindergrundsicherung könnte genau dies leisten. Im Rahmen des Bündnisses Kindergrundsicherung streiten wir deshalb zusammen mit vielen weiteren namhaften Verbänden (u.a. Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Kinderschutzbund, Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, pro familia Bundesverband, Naturfreunde Deutschland, Verband berufstätiger Mütter) und Wissenschaftler*innen für dessen Realisierung.

Dem Konzept zufolge soll das bisherige sozial ungerechte und stigmatisierende System des Familienlastenausgleichs ersetzt werden durch eine einheitliche Leistung in Höhe von derzeit maximal 564 Euro pro Kind und Monat zzgl. Sonder- und Mehrbedarfe wie etwa für besonders hohe Mieten, Krankheits- bzw. Gesundheitskosten, Sonderbedarfe bei Behinderungen, Umgangsmehrbedarfe u.v.m. Die Auszahlung des Höchstbetrags verringert sich mit dem Anstieg des zu versteuernden Haushaltseinkommens bis zur Höhe der derzeitigen maximalen Entlastungswirkung des steuerlichen Kinderfreibetrages von derzeit 287 Euro.

Familienlastenausgleich und Infrastruktur Hand in Hand

Selbstverständlich kann eine solche Kindergrundsicherung nicht den weiteren flächendeckenden Ausbau einer qualitativ hochwertigen Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur ersetzen. Um Armut bei Kindern und Jugendlichen wirkungsvoll zu bekämpfen, müssen beide Ansätze Hand in Hand gehen: Die bessere finanzielle Ausstattung der Familien einerseits, und eine sozial gerechte und Chancen eröffnende Infrastruktur andererseits.

 

1 Diese Argumentation stützt sich u.a. auf ein Referat von Dr. Gisela Notz, wissenschaftliche Unterstützerin des BÜNDNIS KINDERGRUNDSICHERUNG, anlässlich eines internen Workshops des Bündnisses am 18.08.2009.

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Alexander Nöhring

ist Geschäftsführer des Zukunftsforums Familie e.V.

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