Debatte

Die Aufgaben des Westens im Kampf gegen IS

Wir stehen vor einer tiefgreifenden Veränderung der arabischen Welt, die gesamte Nachkriegsordnung des Ersten Weltkriegs befindet sich in Auflösung. Welche neue Ordnung entstehen wird und ob überhaupt eine, ist völlig unklar. Der Westen muss nun vorsichtig vorgehen, aber auf jeden Fall eingreifen.
von Rolf Mützenich · 12. November 2014
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Die „Bilanz“ des dreijährigen Bürgerkrieges in Syrien ist verheerend: fast 200.000 Todesopfern, Millionen von Flüchtlingen und eine Not leidende Zivilbevölkerung. Sämtliche Friedensinitiativen und Vermittlungsversuche zur Beilegung des Konflikts sind bislang gescheitert. Nach Jahren des Zögerns haben das rasche Vorrücken und die brutale Schreckensherrschaft des „Islamischen Staats“ (IS) die US-Amerikaner und die Europäer dazu bewogen, nun doch militärisch in Syrien und dem Irak zu intervenieren. Angesichts des IS gilt manchen der syrische Machthaber Assad sogar als das kleinere Übel und es werden Stimmen laut, eine Kooperation mit dem Diktator nicht mehr auszuschließen. Vor unseren Augen spielen sich seit Jahren Massaker in Syrien ab, ohne dass der demokratische Westen es verhindert hat. Das liegt maßgeblich an der russischen Blockade-Politik im UN-Sicherheitsrat. Lediglich die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen und die „Foreign fighters“-Resolution können als kleiner Erfolg gelten.

Militärische Intervention braucht erreichbare Ziele

Die Sehnsucht nach einem (militärischen) Befreiungsschlag ist angesichts der IS-Barbarei verständlich. Jedoch muss jede militärische Intervention, ob humanitär oder realpolitisch begründet, realistische Ziele haben. Die sind im Nahen Osten derzeit nicht mehr zu definieren, schon gar nicht in Syrien und im Irak.

Das Vorrücken des IS wurde maßgeblich ermöglicht durch das Machtvakuum in den beiden Ländern. Dabei bedroht der IS nicht nur ganz unmittelbar die Menschen in der Region, sondern auch die regionalen, europäischen und deutschen Sicherheitsinteressen. Eine weitere Expansion des IS würde unmittelbar die kurdische Autonomie-Region im Nordirak, weitere Teile Syriens, den Libanon und Jordanien gefährden. Eine kohärente, umfassende Strategie des Westens gegen die Terrorgruppe IS gibt es derzeit nicht. Sie ist auch leichter zu fordern als umzusetzen. Es gibt stattdessen viele Strategien, die sich teilweise widersprechen oder konterkarieren. Das ist insofern nicht verwunderlich, als dass die Interessen der intervenierenden Mächte sehr unterschiedlich sind. Es gibt schlichtweg zu viele Parteien mit zu vielen widersprüchlichen Interessen.

Der Westen sollte sich vor Kriegszügen hüten

Während Saudi-Arabien und die Golfstaaten gewaltbereite Gruppen einschließlich IS-Kämpfer bislang finanziert und munitioniert haben, fliegen sie heute gemeinsam mit den USA und Großbritannien Angriffe gegen den IS. Der Luftkrieg gegen den IS wiederum hilft, ob gewollt oder ungewollt, Baschar al-Assad. Die Todfeinde Iran und USA haben zudem offenbar ein Zweckbündnis gegen den sunnitischen Islamismus geschlossen. Die Option eines Kurdenstaates ist aktuell wie seit Jahrzehnten nicht mehr, im Irak, in Syrien – und möglicherweise bald in der Türkei. In diesem unübersichtlichen Knäuel widerstreitender Kräfte können weder die USA noch der Westen über die Anliegen und Wünsche der syrischen Kurden oder der irakischen Sunniten unparteiisch urteilen oder gar richten.

Eine Intervention zu Ordnungszwecken von außen verbietet sich daher – zumal derzeit keiner weiß, wie diese Ordnung aussehen könnte. Der Westen sollte sich deshalb vor neuen Kriegszügen hüten. So zynisch es klingt, der Westen handelt derzeit aus nacktem Eigeninteresse – um den IS zu schwächen und einzudämmen, wo er Europa und die USA direkt bedroht. Infolgedessen versucht er aus der Luft den Vormarsch des IS und die Eroberung von Städten wie Kobane zu verhindern und so weitere Massaker und Flüchtlingsströme.  

Die Politische Neuordnung obliegt lokalen Kräften

Die politische Neuordnung der Region hingegen bleibt Aufgabe der Iraker, Syrer und Türken. Haltbare Lösungen sind ohnedies nur politisch und nicht militärisch zu erzielen. Dabei sollte man nicht vergessen, dass neue Grenzen auch neue Probleme schaffen können – nicht nur in der Frage eines möglichen kurdischen Staates. Weder der Krieg im Irak noch der in Syrien werden sich ohne eine Entspannung zwischen den sunnitischen Führungsmacht Saudi-Arabien und der schiitischen Führungsmacht Iran beenden lassen. Es ist deshalb richtig, wenn sich die deutsche und die europäische Diplomatie auch um direkte Kontakte zwischen Riad und Teheran bemühen. Der bisher von Schiiten geführte Irak braucht zur Stabilisierung ebenfalls den Dialog mit den Sunniten und deren Beteiligung an der Regierung. Syrien braucht zuallererst einen Waffenstillstand zwischen den Regierungstruppen und jenen moderaten Rebellen, die sich in einem Zweifrontenkrieg zwischen Assad-Regime und IS befinden. Das ist die einzige Möglichkeit, den Weg für eine politische Lösung zu bahnen, die Syrien vielleicht noch als Staat erhält. Dem Westen fallen ebenfalls wichtige Aufgaben zu.

Was Deutschland, Europa und der Westen tun können

1. Humanitäre Hilfe leisten, die endlich in ausreichendem Maße in die von Rebellen kontrollierten Gebiete gelangt.

2. Für ein Austrocknen der Einnahmequellen des IS sorgen. Der IS ist die reichste Terrororganisation der Welt, pro Tag soll sein Vermögen um eine Million US-Dollar wachsen. Für eine wirksame Bekämpfung müssen seine Einnahmequellen (Erdölverkauf, Schmuggel, Schutz- und Lösegelder, Drogenhandel) trockengelegt werden. Hier muss auch entsprechend Druck auf die Partner ausgeübt werden. So findet Öl des IS seinen Weg noch immer in die Türkei oder ins irakische Kurdistan.

3. Den durch Flüchtlinge besonders belasteten Ländern nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten beistehen. In Jordanien kommen auf sechs Millionen Einwohner mehr als 600.000 registrierte Flüchtlinge, die Türkei hat mehr als 1,5 Millionen Syrer aufgenommen.

4. Die reformbereiten Kräfte unterstützen, um den Krieg in den Köpfen gegen die militanten Islamisten zu gewinnen. In Syrien sind von Beginn an Menschen aus der Zivilgesellschaft den Dschihadisten entschieden entgegengetreten. Dass die Aufständischen dem Terror des Assad-Regimes und dem der Islamisten gleichermaßen ausgesetzt sind, zeigt, wie sehr beide Seiten die Aufständischen fürchten.

Das arabische Elend dauerhaft bekämpfen

Der Aufstieg des „Islamischen Staats“ ist Ausdruck des Elends der arabischen Welt. Er konnte nur deshalb so stark werden, weil all die Gründe, die zur Arabellion führten, weiterbestehen. Korruption, Intransparenz, Ineffizienz und Missachtung von Menschenrechten kennzeichnen weiterhin die arabischen Regime. Der Westen muss ernsthaft und langfristig jene Kräfte unterstützen, die sich dem „Islamischen Staat“ entgegenstellen, und darf es zugleich nicht akzeptieren, dass der „Kampf gegen den Terror“ für die innenpolitischen Zwecke autoritärer Regime wie dem von Assad missbraucht wird.

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Rolf Mützenich
Rolf Mützenich

ist Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

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