Debatte

„Der Gegenwind flaut ab“

Die Familienarbeitszeit wird kommen, davon ist Familienministerin Manuela Schwesig überzeugt. Widerstand schreckt sie nicht. „Den gibt es immer, wenn alte Strukturen aufgebrochen werden.“
von Yvonne Holl · 27. Januar 2015
Familienministerin Manuela Schwesig
Familienministerin Manuela Schwesig

Frau Schwesig, Sozialdemokraten sorgen sich derzeit besonders um die „gehetzte Generation“ der 30- bis 50-Jährigen. Sie selbst gehören dieser Altersgruppe an und sind berufstätige Mutter. Fühlen Sie sich gehetzt?

„Ich kann das Gefühl nachvollziehen. Mein Mann und ich leben in dem gleichen Spagat wie viele andere Familien auch. Wir möchten unsere Jobs gut machen und auch Zeit für unsere Familie haben. Die Balance zu halten ist nicht immer leicht. Aber bei anderen Müttern und Vätern sind die Bedingungen noch viel schwieriger. Manche müssen nicht nur Beruf, Partner und Kindern gerecht werden, sondern sich auch noch um einen pflegebedürftigen Angehörigen kümmern. Das erfordert enorme Anstrengungen.

Im Fokus ist die „Sandwich-Generation“, die Karriere, Rentenansprüche, Kinder und eventuell pflegebedürftige Eltern unter einen Hut bringen muss. Warum ist das heute so schwierig? Unsere Eltern und Großeltern waren doch auch einmal in dem Alter?

Jede Generation hat ihre eigenen Herausforderungen und ihre eigenen Bedürfnisse. Deshalb finde ich, dass Vergleiche hier nicht weiter helfen. Statt zurückzuschauen, sollten wir lieber nach zeitgemäßen Lösungen suchen. Im Übrigen weiß ich aus vielen Gesprächen: Auch Großeltern fragen sich besorgt, wie ihre Kinder und Enkelkinder mit dem Stress zu recht kommen sollen. Die ältere Generation fordert von der Politik genauso dringend und berechtigt eine schlüssige Antwort auf diese Frage.

Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass Sie die Familienarbeitszeit politisch angesprochen haben. Vom Kanzleramt gab es die wenig begeisterte Reaktion, das sei ein „persönlicher Debattenbeitrag“ der Familienministerin.   Hat sich die Situation verändert?

Ich halte an meiner Idee der Familienarbeitszeit fest. Neue Vorstöße  werden in der Politik meistens erst einmal kontrovers diskutiert. Doch beim Thema Familienarbeitszeit flaut der Gegenwind mehr und mehr ab. Dafür bekomme ich jetzt reichlich Rückenwind, und zwar aus unterschiedlichen Richtungen. Auch die Gewerkschaften – wie zum Beispiel die IG Metall - und die Wirtschaft – wie zum Beispiel DIHK-Chef Eric Schweitzer – unterstützen die Idee der Familienarbeitszeit.

Sie haben erkannt: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein Thema, das den Nerv der Leute trifft: Die Generation der arbeitenden Mitte, also die Leistungsträger unserer Gesellschaft, stehen vor einer Zerreißprobe: Sie müssen sich im Beruf beweisen, ohne die eigene Familie zu vernachlässigen – auf Dauer eine höchst belastende Situation. Studien sprechen da eine ganz klare Sprache: Gut 60 Prozent der Mütter und Väter mit Kindern unter drei Jahren wünschen sich eine partnerschaftliche Aufteilung. Sie wollen in gleichem Umfang erwerbstätig sein und sich gleichermaßen um Haushalt und Familie kümmern. Die Realität sieht ganz anders aus: Gerade einmal 14 Prozent können nämlich diesen Wunsch leben.

 Wie soll so ein Familienarbeitszeitmodell aussehen?

Heute gilt in unserer Arbeitswelt in der Regel: Nur wer Vollzeit arbeitet und ständig präsent ist, gilt als Leistungsträger. Der Ist-Zustand ist häufig so: Die Männer arbeiten Vollzeit, 40 Stunden Plus. Und die Frauen überwiegend – ungewollt - in Teilzeit, im Durchschnitt sind es 19 Stunden. Ich möchte, dass die Arbeitszeit für Familien besser verteilt wird. Es muss für Männer und Frauen möglich sein, in Familienphasen Teilzeit, zum Beispiel 30, 32 oder 35 Stunden zu arbeiten, ohne große Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Wie der Staat das unterstützen kann, darüber werden wir noch reden. Sicher ist für mich: familienbewusste Arbeitszeiten sind eine Win-Win-Situation. Beschäftigte können sich ihren beruflichen und familiären Aufgaben widmen. Arbeitgeber profitieren ebenfalls, weil sie ihre Mitarbeiter stärker binden und neue Fachkräfte anwerben können.

Wann wird die Familienarbeitszeit kommen?

Wir sind auf dem Weg dorthin. Die ersten Schritte haben wir ja schon getan – mit dem ElterngeldPlus, das Paare fördert, die beide Teilzeit arbeiten wollen. Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung. Und mit dem Familienpflegezeitgesetz. Wir bauen darauf auf und entwickeln die Idee der Familienarbeitszeit weiter. Ich spreche mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften darüber, wie wir gemeinsam vorankommen können. Zum einen ist es wichtig, dass Teilzeit wegen Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen keine Einbahnstraße bleibt. Deshalb ist das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit notwendig. Bundesarbeitsministerin Nahles wird das auf den Weg bringen.

Außerdem muss es auch für Familien mit kleinen Einkommen möglich sein, in Teilzeit zu gehen. Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Deshalb rechnen wir da gerade verschiedene Modelle zur finanziellen Unterstützung durch. Ich bin überzeugt, dass es sich für unsere Gesellschaft rechnet, wenn der Bund Geld für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausgibt.

Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) würde eine solche Förderung rund 140 Millionen Euro im Jahr kosten. Das ist im Vergleich zu den 4,6 Milliarden, die der Staat pro Jahr für das Elterngeld ausgibt, eine überschaubare Summe. Woher rühren dann die Widerstände?

Wenn alte Strukturen aufgebrochen werden, regt sich dagegen immer Widerstand. Gerade in der Politik geht mancher noch von einem völlig überholten Familienmodell aus, und in vielen Unternehmen gilt: Leistungsträger ist, wer ständig präsent ist. Aber langsam scheinen immer mehr Betriebe zu begreifen, dass wirtschaftliche Interessen und gute Familienpolitik kein Widerspruch sind. Wenn der Wirtschaftsstandort Deutschland auf eine Sache angewiesen ist, dann auf Fachkräfte. Und deshalb müssen alle auf die Belange von Fachkräften mit Familie stärker Rücksicht nehmen. Umso wichtiger ist es, dass wir gemeinsam mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften innovative Modelle entwickeln, damit Familien der Spagat zwischen Beruf und Familie gelingt.

In weiten Teilen der Bundesrepublik, insbesondere im Westen, wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in erster Linie als Frauenthema gesehen. Welche Rolle haben die Väter in der Diskussion?

Die jungen Väter spielen eine ganz entscheidende Rolle. Denn hier hat sich in den vergangenen Jahren eine leise Revolution vollzogen: Viele junge Männer wollen gleichberechtigt für ihre Kinder da sein, Zeit für die Familie haben. Diese Generation sieht beide Partner für das Familieneinkommen in der Verantwortung. Politik und Wirtschaft müssen diesem Wandel Rechnung tragen.

Wie sieht ihre Vision einer familienfreundlichen Gesellschaft aus, sagen wir mal in zehn oder 20 Jahren?

In zehn oder 20 Jahren werden wir nicht mehr über Familienarbeitszeit reden. Weil es sie da längst geben wird. Mütter und Väter können mit ihren Kindern ein flächendeckendes Angebot von Kitas und Ganztagsschulen nutzen. Mütter und Väter werden dann Zeit zurückerobert haben, für Kinder und Familie. Kein Unternehmen wird es sich leisten können, flexible Arbeitszeitmodelle abzulehnen. Und noch etwas wird sich in der Arbeitswelt verändert haben. Die Unternehmen werden erkannt haben: Innovation ist weiblich und männlich.

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Autor*in
Yvonne Holl

ist Redakteurin für Politik und Wirtschaft.

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