Debatte

Chancengerechtigkeit: Wie wir Kinder stark machen können

Rund drei Millionen Kinder leben in Deutschland außerhalb der Gesellschaft. Sie kennen kein Kino, kein Theater, keinen Urlaub. Kann man diese Kinder stark machen? Bernd Siggelkow, Gründer der Kinder- und Jugendeinrichtung „Die Arche“, sagt wie.
von Bernd Siggelkow · 7. Juli 2016
Wir müssen Kinder wie Könige behandeln, sagt „Arche“-Gründer Bernd Siggelkow.
Wir müssen Kinder wie Könige behandeln, sagt „Arche“-Gründer Bernd Siggelkow.

Jedes Kind, ja jeder Mensch ist einzigartig, diese Erfahrung durfte ich bei meiner Arbeit sammeln. Allerdings müssen wir Kinder wie Könige behandeln, sonst können sie uns auf dem Weg ins Erwachsenenleben verloren gehen.

Was Armut für Kinder bedeutet

In Deutschland gibt es über drei Millionen Kinder und Jugendliche, die in Armut leben müssen. Was bedeutet das? Offiziell leben diese Kinder in Familien, die weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens haben. Doch das wirkliche Leben dieser Kinder jenseits von Zahlen und Statistiken fühlt sich viel schlimmer an.

Wir haben in Deutschlands rund drei Millionen Kinder, die außerhalb der Gesellschaft leben. Sie kennen keine Urlaubsreisen, kein Kino oder Theater, keine Restaurantbesuche usw., ja sogar die Mitgliedschaften in Sport- oder anderen Vereinen bleibt Ihnen häufig verwehrt.

Doch wie können wir die Situation dieser Kinder verbessern. Herdprämien für die Eltern und sogenannte Bildungspakete sind weniger Wert als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Wir müssen auch den sogenannten „Filter“ Eltern umgehen, dass heißt den Kindern nicht nur über Hilfe für die Eltern unterstützen.

Kinder brauchen Vertrauen und Zeit

Wenn ich etwas in diesen 20 Jahren Arche gelernt habe, dann sind es die Begriffe Werte und Bildung, mit denen ich direkt bei den Kindern ansetzen muss. Wir müssen zum Beispiel die Gelder anstatt in das Bildungspaket ins Schulsystem stecken.

Wichtig ist ein freier Zugang zur Kultur für alle Kids. Das Sitzenbleiben muss abgeschafft werden, dafür muss es eine stärkere individuelle Förderung der Kinder geben. Wir brauchen dafür mehr Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas und an den Schulen. Wir brauchen mehr Lehrer, ja wir brauchen Ärzte und Psychologen, die für die Kinder da sind. Vor allem brauchen die Kinder Vertrauenslehrer, die Zeit für sie mitbringen. Wichtig sind vor allem kleine Klassen an Schulen und individuelle Hilfe für die Kinder, die von Zuhause aus ein bestimmtes Grundwissen für die Schule nicht mitbringen, aus was Gründen auch immer.

Unsere Kinder sollten in der Schule schon möglichst viele Berufsfelder kennen lernen. Dafür müssen wir vor allem die private Wirtschaft zur Unterstützung des Lehrkörpers in die Schulen holen. Unsere Kinder brauchen nicht nur sogenannte Sachwerte, sie benötigen ein Mehr an Menschen, die ihnen - ohne Gegenleistungen zu verlangen - helfen. Wir können nur über Beziehungen die Kinder und Jugendlichen erreichen, die uns, also der Gesellschaft, sonst verloren gehen würden.  

Wie Schule funktionieren kann

Vor rund zehn Jahren hat die Arche in Berlin Hellersdorf eine Schule in privater Trägerschaft mit gegründet. Die Klassen sind bis heute klein, nicht mehr als 20 Kinder „stark“. Nicht selten sind zwei Lehrerinnen oder Lehrer für nur ein Klasse zuständig. Dazu kommt noch eine Erzieherin oder Erzieher. Die können sich so um die Kinder kümmern, die ohne individuelle Hilfe nicht zu Recht kämen.

So funktioniert plötzlich Schule. Wir haben feststellen dürfen, dass auch die Kinder einen Schulabschluss schaffen, die ansonsten an einer Regelschule wohl gescheitert wären. Auch sind wir mit einigen „Archen“, also mit Pädagoginnen und Pädagogen an Regelschulen vertreten und versuchen die Kinder aufzufangen, die sonst am Schulsystem scheitern würden. Wir helfen ihnen individuell und stärken sie in ihrem Selbstvertrauen, in ihrem Glauben an sich selbst. Das macht viele dieser Kinder stark.

Neben dieser Hilfe direkt am Kind brauchen wir auch Unterstützung für die Eltern. Wir brauchen Löhne, von denen wir Menschen auch leben können. Auch Sozialleistungen müssen dann erhöht werden, wenn sich z.B. Grundnahrungsmittel verteuern. Aber fast alle Menschen wollen am Erfolg unserer Gesellschaft beteiligt werden. Sie wollen arbeiten. Wir müssen versuchen, möglichst viele Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Wir müssen ihnen ein würdevolles Leben ermöglichen. Sie werden es der Gesellschaft zurückzahlen.

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Autor*in
Bernd Siggelkow

Gründer und Vorstand des christlichen Kinder- und Jugendwerks e. V. „Die Arche"

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