„Wir erleben zurzeit einen Kulturkampf von rechts“
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Im Oktober haben Pegida ihr zweijähriges Jubiläum begangen. Was sind das für Leute, die jeden Montag in Dresden auf die Straße gehen?
Bei Pegida sind von Anfang an sehr unterschiedliche Menschen zusammen gekommen. Obwohl die Medien zum Teil anders berichtet haben, sind dort doch nie nur die sogenannten besorgten Bürger auf die Straße gegangen, sondern von Beginn an auch überzeugte Rassisten und organisierte Rechtsextremisten. Rechte Hooligans haben sich ebenso mit eingebracht. Dass das lange nicht wahrgenommen oder sogar ignoriert wurde war fatal. Pegida wurde aus der Mitte der Gesellschaft sehr viel Verständnis entgegengebracht, ihre Anliegen als nachvollziehbare Seismographen von Fehlentwicklungen der politischen Kommunikation und gesellschaftlichen Prozessen überwiegen verhandelt, statt ihre politischen Ressentiments mit ihren extremen Positionen zu hinterfragen
Konnte man das nicht sehen oder wollte man es nicht?
Schon bei den ersten Reden im Oktober 2014 ist in einer brachialen Sprache gegen Flüchtlinge gehetzt und der Islam pauschal als Feind ausgemacht worden. Es ging aber von Anfang an um mehr. Im Weltbild vieler, die bei Pegida dabei waren und zum Teil noch sind, haben die 68er ein rot-grün versifftes Deutschland geschaffen, in dem die political corretness vorherrscht und niemand mehr sagen darf, was er gern sagen möchte, wo das Zigeunerschnitzel nicht mehr Zigeunerschnitzel heißen und eine Frau nicht mehr eine Frau sein darf. Diese Argumentation war von Anfang an zentraler Bestandteil bei Pegida. Mit dem Verweis „Die kommen aus der Mitte der Gesellschaft“ wurde leider nicht genau über diese Positionen deutliche als Problem der Mitte diskutiert, sondern sie wurden als legitim dargestellt.
Immer wieder ist bei den Pegida-Kundgebungen der Ruf „Wir sind das Volk!“ zu hören. Woher kommt der Bezug zur friedlichen Revolution in der DDR 1989?
Pegida versucht, auf eine Widerstandstradition aufzubauen. Manchmal beziehen sie sich in ihren Äußerungen auch auf die Revolution von 1848. Allerdings hatte die Parole „Wir sind das Volk“ in der DDR eine ganze andere Bedeutung. Die Menschen haben damals damit ausgedrückt, dass sie eine Freiheit einfordern, die ihnen der Staat nicht geben wollte. Es ging um offene Grenzen und darum, dass jeder Bürger sein Leben frei und individuell gestalten kann. Pegida pervertiert die Parole. Sie meinen damit, dass sie bestimmen, wer das Volk ist, wer dazu gehört und wer nicht. Alle anderen werden ausgeschlossen und verbal oder sogar körperlich angegriffen. Glücklicherweise hat sich die damalige Bürgerrechtsbewegung aus der DDR längst davon distanziert, dass Pegida die Parole „Wir sind das Volk“ für sich nutzt.
Trotzdem scheint die Parole bei einigen zu verfangen.
Ja, das stimmt. Es gibt durchaus Menschen, die die Verhältnisse vom Ende der DDR auf die heutige Bundesrepublik übertragen und sie als eine Art DDR 2.0 ansehen. Pegida und AfD nutzen das geschickt, obwohl es aus meiner Sicht eher den Charakter eine Verschwörungstheorie hat.
Die AfD hat zunächst Abstand von Pegida gehalten. Mittlerweile treten Politiker der Partei offen auf Pegida-Veranstaltungen auf. Wo sind die Schnittmengen?
Pegida und die AfD haben die gemeinsamen Feinbilder. Das sind nicht nur der Islam und die Flüchtlinge, sondern vor allem die 68er-Bewegung und ihre Vertreter sowie das SPD –und Grünen-Milieu. Die sehen Pegida und AfD als Verursacher des Zustands, den wir heute in Deutschland haben: eine weltoffene, liberale und plurale Gesellschaft. Diese lehnen Pegida wie AfD konsequent ab. Wir erleben zurzeit einen Kulturkampf von rechts, der die fundamentalen Punkte unserer Gesellschaft infrage stellt.
Was würden sie den anderen Parteien raten, wie sie mit der AfD und ihren Wählern am besten umgehen?
Es ist schwierig, pauschale Ratschläge zu geben, weil jede Partei einen spezifischen Zugang zur Wählerklientel der AfD hat. Die CDU scheint für sich klären zu müssen, was es für sie heute bedeutet, konservativ zu sein und wo sie ihre Grenze nach rechts setzt. Die Sozialdemokratie muss sich – übrigens in ganz Europa – überlegen, wie sie darauf reagiert, dass rechtspopulistische Parteien ihre klassische Wählerklientel abgrasen. Sie muss sich auch fragen, warum sie die soziale Frage so lange vernachlässigt hat, dass sich viele Menschen nicht mehr ausreichend von ihr vertreten fühlen. Die Linke steht im Osten vor der ähnlichen Auseinandersetzung wie die SPD. Sie ist aber wie die Grünen schon aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus für die AfD der Feind schlechthin. Vielleicht könnten Grüne und Linke einen politischen Pol im Parteienspektrum bilden an dem sich die anderen streiten, um nicht in Richtung AfD zu rutschen und sie schlimmstenfalls rechts zu überholen. Die SPD sollte ihre eigenen mahnenden Stimmen vor einem Rechtskurs zudem nicht überhören.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.