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Wie ein verurteilter Gefängnisschließer zum Zeugen im Lübcke-Prozess wurde

Der umstrittene Dresdner Rechtsanwalt Frank Hannig ließ sich bei der Verteidigung des mutmaßlichen Mörders von Walter Lübcke ausgerechnet von einem rechtsmotivierten Straftäter helfen. Für die aktuellen Anwälte von Stephan E. wurde die Vernehmung dieses Mannes zum Eigentor.
von Joachim F. Tornau · 26. November 2020
Stand am Donnerstag wieder im Fokus des Prozesses um den ermordeten Walter Lübcke: Ex-Verteidiger Frank Hannig
Stand am Donnerstag wieder im Fokus des Prozesses um den ermordeten Walter Lübcke: Ex-Verteidiger Frank Hannig

Daniel Zabel scheint einer jener Menschen zu sein, bei denen Selbst- und Fremdwahrnehmung nicht unbedingt zwangsläufig in Deckung zu bringen sind. Als der 41-Jährige am Donnerstag als Zeuge im Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke angehört wird, gibt er sich als smart-professioneller Bescheidwisser. Sein eng geschnittener Anzug sitzt, er spricht von „Ermittlungen“, die er geführt habe, den Senatsvorsitzenden nennt er allen Ernstes „Euer Ehren“. So präsentiert sich ein Mann, der sich für wichtig hält. Doch die Wahrheit ist hässlicher: Zabel ist der Dresdner Justizvollzugsbeamte, der nach der Messerstecherei auf dem Chemnitzer Stadtfest 2018 dafür gesorgt hatte, dass ein zunächst tatverdächtiger, jedoch unschuldiger Flüchtling an den Internet-Pranger gestellt werden konnte.

In der rechten Szene gefeiert

Für sein Durchstechen des Haftbefehls an Rechtsextreme wurde er vom Dienst suspendiert und strafrechtlich verurteilt, Rassismus bescheinigte ihm das Gericht. Der Mann, der sich in Chats mit Kollegen über „Kanackenklatschen wie in den 90ern“ ausließ und kürzlich erneut angeklagt wurde, diesmal wegen der Misshandlung eines tunesischen Gefangenen, wird in der rechten Szene als „Whistleblower“ gefeiert. In der sächsischen AfD stieg er binnen kürzester Zeit in den Landesvorstand auf. Zu seinem Auftritt vor dem Frankfurter Oberlandesgericht aber kam er, weil ihn sein Verteidiger mit einem Job belohnt hat: Bis heute ist Daniel Zabel als „Gehilfe“ tätig für den Dresdner Rechtsanwalt Frank Hannig, den ehemaligen Verteidiger auch des mutmaßlichen Lübcke-Mörders Stephan E.

Dass diese spezielle Personalentscheidung bekannt wurde, ist den aktuellen Verteidigern des 47-jährigen Kasseler Neonazis zu verdanken. Sie hatten die Vernehmung Zabels beantragt in der Hoffnung, er könnte ihnen beim Aufpolieren der äußerst angekratzten Glaubwürdigkeit ihres Mandanten helfen. Der Hannig-Assistent sollte bestätigen, dass Stephan E. von Anfang an erzählt habe, was er schließlich auch vor Gericht zugab: dass er den Kasseler Regierungspräsidenten zwar selbst erschossen, die Tat aber zusammen mit dem Mitangeklagten Markus H. begangen habe. Was wiederum bedeutet hätte, dass die Geschichte vom versehentlichen Todesschuss durch Markus H., die Stephan E. zwischenzeitlich aufgetischt hatte, eine Erfindung Hannigs gewesen wäre.

Dem Mandanten nicht über den Weg getraut

Was der Zeuge dann jedoch zum Besten gab, half nicht dem Angeklagten, sondern dessen geschasstem Anwalt – gegen Hannig läuft wegen des Vorwurfs, Stephan E. zur falschen Verdächtigung angestiftet zu haben, ein Ermittlungsverfahren. Glaubt man nun Zabel, dann entbehrt das jeder Grundlage. Eines Tages, erzählte er, sei sein Chef nach einem Besuch im Kasseler Gefängnis zu ihm ins Auto gestiegen und habe gesagt: „Das glaubste jetzt nicht.“ Stephan E. habe ihm gerade gesagt, dass Markus H. der Todesschütze gewesen sei. „Aus Versehen natürlich.“ Und: Sie hätten dem Mandanten nicht so recht über den Weg getraut: „Wir wussten nicht: Spielt er mit uns oder nicht?“

Für Mustafa Kaplan und Jörg Hardies, die beiden derzeitigen Verteidiger des mutmaßlichen Lübcke-Mörders, blieb die Vernehmung Zabels nicht das einzige Eigentor an diesem 33. Verhandlungstag. Um ihre These von der Verantwortung Hannigs für das wechselhafte Aussageverhalten ihres Mandanten untermauern zu können, hatten sie sich nicht nur für die Beschlagnahme von Notizen ihres umstrittenen Anwaltskollegen ausgesprochen, wie sie die Nebenklage beantragt hatte, sondern darüber hinaus auch noch nach dessen Audiomitschnitten von Gesprächen mit Stephan E. verlangt. Doch Hannig dafür umfassend von der Schweigepflicht zu entbinden, lehnten sie ab – obwohl das Gericht mehrfach deutlich gemacht hatte, dass das die Voraussetzung wäre. Die wenig überraschende Folge: Am Donnerstag wurden alle diese Anträge abgewiesen.

Ein Hoffnungsschimmer für den Angeklagten

Hartnäckiger verfolgen die Verteidiger mittlerweile allerdings ohnehin ein anderes Ziel: den zweiten Tatvorwurf gegen Stephan E. zu erschüttern. Im Januar 2016 soll er einen jungen Geflüchteten aus dem Irak auf offener Straße niedergestochen haben, die Anklage sieht darin einen Mordversuch. Allein in dieser Woche hatte der Senat auf Betreiben der Verteidigung neun Zeug*innen zu diesem Tatkomplex geladen. Nach Kräften versuchten Kaplan und Hardies, das Opfer in ein schlechtes Licht zu rücken und seine Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Allzu erfolgreich waren sie damit nicht – zumal ein möglicher Schuldspruch von der Aussage des schwer verletzten jungen Mannes am allerwenigsten abhängen dürfte: Ahmed I. hat nie behauptet, den Täter erkannt zu haben.

Viel entscheidender dürfte sein, dass an einem bei Stephan E. gefundenen Klappmesser DNA-Spuren entdeckt wurden, die zum Opfer passen – auch wenn sie für eine eindeutige Identifizierung zu schwach sind. Was diese vermeintliche Tatwaffe angeht, gibt es nun zumindest einen Hoffnungsschimmer für den Angeklagten: In seinen Unterlagen fand sich ein Kaufbeleg, der zu dem sichergestellten Messer gehören könnte. Dann wäre es erst mehr als drei Wochen nach dem Angriff auf Ahmed I. gekauft worden, könnte also nicht die Tatwaffe gewesen sein. Aber gehören Messer und Quittung wirklich zusammen? Durchaus möglich, ergab die Vernehmung des Schneidwarenhändlers. Doch eindeutig ist es nicht.

Autor*in
Joachim F. Tornau

arbeitet als freier Journalist in Kassel und Hamburg. Einer seiner Schwerpunkte ist dabei die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten.

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