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Wie die Bundesregierung Rassismus in Deutschland bekämpfen will

„Antirassismus ist systemrelevant für unsere Demokratie“, sagt Reem Alabali-Radovan. Die SPD-Politikerin stellte am Mittwoch erstmals einen Lagebericht zu Rassismus in Deutschland vor – und machte konkrete Vorschläge, wie er bekämpft werden soll.
von Jonas Jordan · 11. Januar 2023
Staatsministerin Reem Alabali-Radovan stellte am Mittwoch den Lagebericht zu Rassismus in Deutschland vor.
Staatsministerin Reem Alabali-Radovan stellte am Mittwoch den Lagebericht zu Rassismus in Deutschland vor.

Rassismus und der Kampf dagegen haben eine besondere Präsenz im politischen Diskurs. Das hängt zum einen mit den rassistisch motivierten Gewaltatten in jüngerer Vergangenheit wie bei den Anschlägen in München, Halle und Hanau zusammen, aber auch mit dem besonderen Fokus der Bundesregierung. Seit knapp einem Jahr gibt es mit Staatsministerin Reem Alabali-Radovan zum ersten Mal eine Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung. Am Mittwoch wiederum stellte sie erstmals einen Lagebericht vor, der sich explizit mit dem Thema Rassismus auseinandersetzte.

Menschen an Taten, nicht an Vornamen messen

„Auch 2023 schaffen wir es leider nicht, solche Themen zu diskutieren, ohne rassistische Ressentiments zu bedienen“, machte die Sozialdemokratin gleich zu Beginn der Pressekonferenz in Bezug auf die aktuelle Debatte im Kontext der Krawalle in der Silvesternacht in Berlin deutlich. Die Täter*innen von Silvester müssten nach ihren Taten, nicht nach ihren Vornamen beurteilt werden. „Ich bin enttäuscht, dass es so schnell zu einer so emotionalen Debatte gekommen ist. Wir sollten genauer schauen, was los ist, bevor wir gesamte Bevölkerungsgruppen stigmatisieren“, forderte sie.

Die nun geführte Debatte sei ein Schlag ins Gesicht für 22 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland. „Das ist sehr schwierig und auch gefährlich“, sagte Alabali-Radovan. Rassismus sei keine abstrakte Gefahr, sondern „eine schmerzliche Erfahrung für viele, viele Menschen in diesem Land“. Demnach geben laut einer repräsentativen Befragung 22 Prozent der Menschen in Deutschland an, bereits Rassismus erfahren zu haben. Sie führt an, dass es im Jahr 2021 laut BKA 21.964 rechte Straftaten gegeben habe, also „alle 24 Minuten“.

Ein umfassendes Bild von Rassismus entwickeln

Alabali-Radovan sagte: „Der Bericht soll dazu beitragen, dass wir ein umfassendes Bild von Rassismus entwickeln. So können wir handeln und Versäumnisse der letzten Jahre aufholen.“ Dabei gehe es nicht nur um extreme Ausprägungen, sondern auch um Alltagsrassismus oder strukturellen Rassismus, sagte sie. Als Beispiel führte sie wissenschaftliche Untersuchungen an, wonach eine Frau mit Kopftuch und einem ausländisch klingenden Namen viereinhalb Mal mehr Bewerbungen schreiben müsse, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Mit Blick auf gehobene Positionen gar achtmal mehr.

Die Staatsministerin stellte fünf Maßnahmen im Kampf gegen Rassismus vor. Die Förderung niedrigschwelliger Beratung für von Rassismus betroffener Menschen mit einem Umfang in nHöhe von vier Millionen Euro startet bereits in diesem Jahr. Zudem sollen Opferinitiativen gestärkt werden. „Menschen und ihre Familien, die rassistische Gewalt erlebt haben, dürfen nicht allein gelassen werden“, forderte Alabali-Radovan. Zudem soll ein Expertenrat Antirassismus gegründet werden, der mit seiner Expertise unterstützen sowie eine Arbeitsdefinition von Rassismus erarbeiten soll.

Kommunalpolitiker*innen will die Antirassismusbeauftragte stärker vor Rassismus schützen. „Wir müssen solidarisch an ihrer Seite stehen und sie unterstützen“, sagte sie. Dazu soll zunächst ein Modellprojekt an zehn Standorten beitragen. Außerdem plant die Antirassismusbeauftragte bewusst Amateur- und Breitensport zu fördern, um damit das zu flankieren, „was wir uns im Kabinett im Bereich Antirassismus vorgenommen haben“.

„Es ist gut, dass die aktuelle Bundesregierung ohne Handbremse handelt“

Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD, Aziz Bozkurt, kommentierte den Bericht mit den Worten: „Rassismus grenzt aus und spaltet unsere Gesellschaft. Die aktuellen Diskussionen um die Silvester-Ereignisse machen dies auf bedrückende Weise deutlich, unter anderem, wenn Parteien der vermeintlichen „Mitte“ eine Abstufung des Deutschseins nach dem Klang von Vornamen herbeireden wollen.“ Daher sei es besonders wichtig, dass die Antirassismusbeauftragte das Problem so offenlege und die Debatte über Rassismus mit Fakten sachlich unterlege.

Bozkurts Stellvertreterin Irena Rudolph-Kokot ergänzte: „Ebenso breit wie das Problem muss auch die Palette der Instrumente beim Kampf gegen Rassismus sein. Die Union hat zu lange Klarheit vermissen lassen. Es ist gut, dass die aktuelle Bundesregierung ohne Handbremse handelt.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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