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Warum die Blockade der NSU-Aufklärung so gefährlich ist

Wusste der Verfassungsschutz vom mörderischen Treiben des NSU und hat nichts unternommen? Solange die Aufklärung der Terrorserie behindert wird, bleibt der Boden für Verschwörungstheorien nahrhaft. Ein Kommentar:
von Robert Kiesel · 4. November 2016
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Auf den Tag genau fünf Jahre ist es her, dass im Eisenacher Stadtteil Stregda ein Wohnmobil in Flammen aufging, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt darin verbrannten und die bislang schwerste rechtsextremistische Terrorserie der Bundesrepublik Deutschland ihren Schlusspunkt fand. Mit dem Ende des NSU begann eine Phase der Aufarbeitung, die wenig Neues über die rechtsextreme Szene an sich, dafür aber allerhand Erkenntnisse über Handeln und Nichthandeln der Sicherheitsbehörden ans Licht brachte.

Maas zum Fall NSU: „großes Staatsversagen“

Insofern hat Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) Recht, wenn er deren Untätigkeit während der beinahe 14 Jahre zwischen Untertauchen und Selbstenttarnung des NSU als „großes Staatsversagen“ bezeichnet. Das Fatale ist nur: Das Versagen der Behörden fand mit dem 4. November 2011 nicht etwa sein Ende, es ging nahtlos weiter.

Belege dafür gibt es genug: Vorsätzlich geschredderte Akten beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zum Beispiel, angeordnet durch einen Mitarbeiter des BfV, der gegenüber der Bundesanwaltschaft eingeräumt hatte, mit der „Aktion Konfetti“ (!) unangenehme Fragen verhindern zu wollen. Dass diese gekommen wären, gilt als sicher. Schließlich wäre eine Mitwisserschaft der Behörden allein durch die blanke Zahl der V-Leute im unmittelbaren Umfeld des NSU-Trios zu vermuten gewesen. Heute wissen wir: Insgesamt bezahlte der Verfassungsschutz rund 40 Männer und Frauen aus dem näheren Umfeld des NSU dafür, ihm Informationen zu liefern. Dass keiner dieser bezahlten Nazis Informationen zum mörderischen Treiben der beiden Uwes und Beate Zschäpe gehabt haben will, glaubt heute (fast) niemand mehr. 

Quellenschutz als höchstes Gut

Womit wir beim Kern des Problems angelangt wären: Dem Glauben, ja dem Vertrauen in die Behörden jenes Rechtsstaates, der gerade die Minderheiten seiner Gesellschaft effektiv schützen will und muss. Was vom NSU bleibt, ist ein nicht messbarer Verlust an Vertrauen in die Sicherheitsorgane der Bundesrepublik Deutschland, besonders innerhalb der migrantischen Community. Was mit Ermittlungen in Richtung „organisierter Ausländerkriminalität“ begann, setzte sich mit Vertuschung und Blockade fort. Mit jedem neuen Skandal ploppt bei Angehörigen der vom NSU ermordeten Menschen die Frage auf: Könnte unser Vater, Bruder oder Sohn noch leben, wäre der Schutz von Menschenleben stärker gewichtet worden als der Schutz sogenannter „Quellen“?

Solange die damals wie heute beteiligten Behörden den Familien von Halit Yozgat, Enver Simsek, Mehmet Kubasik, Mehmet Turgut, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides sowie Michèle Kiesewetter die Antwort auf diese Frage schuldig bleiben, werden Spekulationen weiter wuchern. Für die Bundesrepublik Deutschland mag das eine Schmach sein, die mit der Zeit versickert. Für die Angehörigen der Opfer und damit Menschen aus unserer Mitte bleibt es unerträglich, auf Lebenszeit.

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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