Waffenhandel „Migrantenschreck“: Wo der Hass keine Grenzen kennt
Fast 2.000 Delikte gegen Flüchtlinge und Asylbewerber hat die Bundesregierung seit Anfang des Jahres registriert – eine Welle rechter Gewalt rollt durchs Land. In dieser aufgeheizten Atmosphäre bieten findige Geschäftsleute unter der Domain „Migrantenschreck.ru“ Schusswaffen zum Kauf an – und empfehlen, diese gegen Asylbewerber und politische Gegner einzusetzen. Einer der angebotenen Revolver etwa wird mit den Worten beworben: „Machen Sie Ihrem Ärger Luft und nutzen Sie den Antifaschreck AS125 als Meinungsverstärker“. In einem Produktvideo schießt ein Vermummter mit dem Revolver auf Fotos von Spitzenpolitikern wie Heiko Maas oder Claudia Roth – sozusagen als Gebrauchsanweisung für den Einsatz der Schusswaffen.
Bautzen Edition: „brachiale Mündungsenergie“
In dem kleinen Online-Sortiment gibt es zwar keine scharfen Waffen, dennoch ist das Angebot brandgefährlich. Zum Beispiel das doppelläufige Gewehr mit der Produktbezeichnung „Migrantenschreck DP120 “: Es trägt zusätzlich den Namen „Bautzen Edition“ – als Anspielung auf die Gewalt gegen Flüchtlinge in der sächsischen Stadt. Das Gewehr verschieße „bis zu 3 massive Hartgummigeschosse mit brachialen 120 Joule Mündungsenergie“, verspricht die Produktbeschreibung. In der Tat ist die Bezeichnung „brachial“ ein angemessener Ausdruck für 120 Joule Geschossenergie – schon ein Plastikprojektil, das mit nur 3,5 Joule den Lauf einer Waffe verlässt, kann bei unglücklichem Auftreffen auf den Kopf schwere Verletzungen wie Schädelprellungen oder starke Blutungen auslösen.
Den Waffen-Shop „Migrantenschreck“ gibt es seit mindestens einem halben Jahr. Bereits im Juni 2016 berichteten Reporter des MDR über die Webseite. Damals konnten die Journalisten sogar einen geladenen Revolver einfach per Post nach Hause bestellen. Als Absender stand auf dem Paket eine Hoteladresse in Budapest. Seither hat die Webseite zwar einige Male Impressum und Länderkürzel geändert. Abgesehen davon bleibt das Angebot aber bis heute zugänglich – von einem russischen Server aus.
Jugendgefährdend und volksverhetzend
Inzwischen ist zumindest die Bonner Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) tätig geworden und hat die Seite „Migrantenschreck“ als jugendgefährdend und strafrechtlich relevant eingestuft. In der BPjM-Entscheidung vom 29. September 2016, die vorwärts.de vorliegt, heißt es: Auf der Webseite werde „die Gruppe der Flüchtlinge pauschal verächtlich gemacht und implizit zur Gewaltanwendung gegen diese Gruppe aufgerufen“. Die Jugendgefährdung des Online-Auftritts sei „offensichtlich“, der Inhalt volksverhetzend.
Die Berliner Abgeordnete Eva Högl, Innenexpertin der SPD-Bundestagsfraktion, teilt diese Einschätzung: „Die Website ‚Migrantenschreck.ru’ betreibt – neben dem illegalen Vertrieb von Schreckschusswaffen – auf ganz widerwärtige Art und Weise Hetze gegen Asylsuchende, Flüchtlinge, antifaschistische Gruppen sowie Politikerinnen und Politiker“, sagt die Juristin.
Ermittlungen in mindestens vier Bundesländern
Um die Verbreitung der gefährlichen Hetze einzudämmen, wurde „Migrantenschreck“ von der Bundesprüfstelle mittlerweile offiziell indiziert. Das heißt, die Seite darf nicht länger beworben werden – auch nicht als Suchergebnis bei Google und Co. Online zugänglich bleibt der Internet-Shop jedoch weiterhin.
Aufgrund der strafrechtlich relevanten Inhalte schaltete die Bundesprüfstelle zusätzlich die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ein. Da diese jedoch keinen Betreiber der Webseite ausfindig machen konnte, gaben die Beamten den Fall schnell ab – an die Ermittlungsbehörden in Paderborn, von wo aus die Sache später nach Erfurt weitergereicht wurde. Schließlich landete die Causa „Migrantenschreck“ bei der Berliner Staatsanwaltschaft. Dort werde ermittelt, sagt deren Pressesprecher auf Anfrage von vorwärts.de. Als „Kerndelikt“ werde illegaler Waffenhandel geführt. Weitere Auskünfte gibt es jedoch nicht. Gleichzeitig steht auch in Konstanz am Bodensee ein mutmaßlicher Kunde von „Migrantenschreck“ wegen „versuchter Einfuhr“ illegaler Waffen im Fokus der Ermittler, wie die dortige Staatsanwaltschaft erklärt. Mindestens fünf Staatsanwaltschaften waren also bisher mit dem Fall befasst. Sachstand: das Ermittlungsverfahren läuft noch.
Entsetzen bei der SPD
In der SPD stößt das Online-Angebot auf Entsetzen. Der Abgeordnete Uli Grötsch, Rechtsextremismus-Experte der SPD-Bundestagsfraktion, warnt: „Angebote wie die Webseite ‚Migrantenschreck.ru’ zeigen deutlich, vor welchen Herausforderungen wir aktuell stehen: Einer breiten demokratischen Mitte in Deutschland, die für Gleichwertigkeit und Demokratie eintritt und Gewalt ablehnt, steht auch eine protestbereite Gruppe gegenüber, die zwar klein, aber in hohem Maße gewaltbereit ist.“
Eva Högl appelliert an die Behörden, den Urhebern der Webseite zügig das Handwerk zu legen: „Ich hoffe, dass die Betreiber schnell zur Verantwortung gezogen werden. Die Staatsanwaltschaft hat sich des Falles bereits angenommen. Jetzt gilt es zunächst die Ermittlungsergebnisse abzuwarten.“
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.