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Verfassungsschutzbericht: Zulauf bei Rechtsextremen

Das rechtsextreme Spektrum ist auf 24.100 Personen angewachsen und befindet sich damit auf einem neuen Höchststand. Kräftigen Zulauf verzeichnen auch die „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“, dokumentiert der aktuelle Verfassungsschutzbericht.
von Gabriele Nandlinger · 28. Juni 2019

Der Mord an Walter Lübcke beschäftigte Bundesinnenminister Horst Seehofer und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang bei der Präsentation des aktuellen Verfassungsschutzberichts am Donnerstag in Berlin. Haldenwang erklärte, die Vorstellung des Berichts falle in eine Zeit, „in der wir sehr intensiv über rechte Gewalt diskutieren“. Das abscheuliche Verbrechen zeige, wie aus Einschüchterungsversuchen reale Gewalt werde. Ein mögliches Unterstützerumfeld des Mörders werde geprüft, betonten Seehofer und Haldenwang.

Mit 19.409 Vorfällen ist dem aktuellen Verfassungsschutzbericht zufolge die Zahl der rechtsextrem motivierten Straftaten im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen (2017: 19.467. Angestiegen auf 1.088 (2017: 1054) sind allerdings die rechtsextremen Gewalttaten, wovon 821 (2017: 774) fremdenfeindlich motiviert waren, darunter sechs versuchte Tötungsdelikte und 770 Körperverletzungen. Rechte Gewalt gegen Linke wurde in 113 Fällen (2017: 98) registriert, 33 gewalttätige Übergriffe richteten sich gegen andere politische Gegner. Deutlich angestiegen auf 48 Vorfälle (28) sind auch die Gewalttaten aus antisemitischer Motivation.

Am häufigsten zugeschlagen haben rechtsextreme Gewalttäter in Nordrhein-Westfalen (216 Vorfälle; 2017: 206), Sachsen (138; 95), Berlin (121; 100), Brandenburg (119; 121), Sachsen-Anhalt (91; 101), Thüringen (66; 71) und Bayern (63; 68).

Rechtsterroristische Ansätze durch Radikalisierungsverläufe

Mit 24.100 Personen befindet sich das rechtsextreme Personenpotenzial dem aktuellen Verfassungsschutzbericht auf einem neuen Höchststand seit 2014. „Ausgesprochen besorgniserregend“ ist für Innenminister Seehofer dabei die Anzahl der rund 12 700 gewaltbereiten Rechten darunter. Die Gewaltorientierung der rechten Szene werde auch durch die gestiegene Bedeutung und das Interesse an martialischem Kampfsport untermauert, wird im Bericht festgehalten. Radikalisierungsverläufe bei gewaltorientierten Rechtsextremisten und auch bisher nicht auffällig gewordenen Personen könnten in rechtsterroristischen Ansätzen münden. Auch durch so genannte „Bürgerwehren“, wie sie von Rechtsextremisten verschiedentlich gegründet wurden, könnten sich rechtsterroristische Gruppierungen herausbilden, warnen die Verfassungsschützer.

Aktuelles Beispiel dafür ist die Gruppe „Revolution Chemnitz“, gegen die der Generalbundesanwalt jetzt Anklage wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung erhoben hat. Rechtskräftig geworden sind in diesem Jahr auch die Urteile gegen sechs Mitglieder der „Gruppe Freital“ unter anderem wegen Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung, Herbeiführung von Sprengstoffexplosionen und versuchen Mordes.

NPD muss Federn lassen

Das rechtsextreme Parteienspektrum ist dem Bericht zufolge rückläufig: Kräftig Federn lassen musste demnach weiterhin die NPD, die nochmal 500 Mitglieder verlustig ging und lediglich noch 4000 Anhänger zählt. Die NPD-Führungsspitze unter Frank Franz zeige auch „keine eigene strategische Alternative für eine perspektivische Neuausrichtung der Partei“, wird im Bericht festgehalten. Die durchweg schlechten Wahlergebnisse und schwindende Mitgliederzahlen sprächen für die verminderte Bedeutung der NPD im rechtsextremen Spektrum. Auch der von Parteivize Thorsten Heise maßgeblich initiierte „Völkische Flügel“ innerhalb der NPD sei nicht weiter in Erscheinung getreten, heißt es.

Einen Rückgang um erneut 50 auf jetzt 600 Anhänger musste erneut die braune Minipartei „Die Rechte“ verzeichnen. Die Parteiaktivitäten finden nach wie vor im mitgliederstärksten nordhein-westfälischen Landesverband statt. Dort sind die Neonazis im Berichtszeitraum wie auch schon in diesem Jahr mehrfach mit extrem antisemitischen Aktionen hervorgetreten. Leicht zulegen konnte „Der III. Weg“, der sich auf 530 Mitglieder verbessern konnte. Die Aktivitäten der Neonazi-Partei zielten darauf ab, Resonanz über die eigene Mitgliedschaft hinaus zu gewinnen und sich in der Bevölkerung weiter bekannt zu machen, konstatieren die Verfassungsschützer.

„Identitäre“ sind „geistige Brandstifter“

Als Verdachtsfall wird im aktuellen Jahresreport weiterhin die „Identitäre Bewegung“ aufgeführt, der etwa 600 Anhänger (plus 100) zugerechnet werden. „Die Fixierung der IBD auf eine ethnische Homogenität als zentralem Wert für Gesellschaft und Demokratie“ sei ein deutlicher Anhaltspunkt für ihre rechtsextreme Ideologie, wird im Bericht festgehalten. Innenminister Seehofer zufolge sind die „Identitären“ als „geistige Brandstifter nicht minder gefährlich“.

Erneut angewachsen ist das Spektrum der so genannten „Reichsbürger“ auf jetzt 19 000 Personen (plus 13 %), davon etwa 950 Rechtsextremisten. Deren große Affinität zu Waffen stelle ein erhöhtes Gefährdungspotenzial dar, so Seehofer. Rund 910 Szene-Angehörige, etwa fünf Prozent, besäßen eine waffenrechtliche Erlaubnis, heißt es im aktuellen Bericht. „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ seien durch die Bank staatsfeindlich, hält Verfassungsschutzpräsident Haldenwang fest. Insgesamt registrierten die Verfassungsschützer aus dem Spektrum der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ 160 Gewaltdelikte (2017: 130).

Autor*in
Gabriele Nandlinger

ist verantwortliche Redakteurin des Portals „Blick nach rechts“.

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