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Umgang mit der AfD: „Noch nicht alle haben den Ernst der Lage erkannt“

Wie umgehen mit dem Höhenflug der AfD? Frank Junge, Vorsitzender der Landesgruppe Ost der SPD-Bundestagsfraktion, plädiert für demokratische Bündnisse über Parteigrenzen hinweg. Für die SPD im Osten fordert er mehr Unterstützung.
von Kai Doering · 27. Juli 2023
Die AfD steht bereits unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Ein Verbot der Partei würde das Problem in der Gesellschaft allerdings nicht lösen, ist SPD-Politiker Frank Junge überzeugt.
Die AfD steht bereits unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Ein Verbot der Partei würde das Problem in der Gesellschaft allerdings nicht lösen, ist SPD-Politiker Frank Junge überzeugt.

Im thüringischen Sonneberg stellt die AfD erstmals einen Landrat. In den Umfragen für die Landtagswahlen in allen ostdeutschen Bundesländern liegt die Partei auf dem ersten Platz. Wie groß ist Ihre Sorge?

Diese Entwicklung macht mir große Sorgen, überrascht mich aber nicht. Bereits seit 2002 erstellt die Friedrich-Ebert-Stiftung ja die „Mitte-Studie“, die regelmäßig zeigt, wie stark rechtsextremes und rassistisches Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft verbreitet ist. Das ist der Nährboden, aus dem sich die AfD speist. Die Umfrageerfolge der AfD – übrigens nicht nur in Ostdeutschland – müssen ein Weckruf für alle Demokraten sein. Wir müssen uns jetzt in allen Gremien unserer Partei beraten und verabreden, wie es uns erfolgreich gelingt, dagegen vorzugehen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die AfD einen Umfrageaufschwung erlebt. Wie erklären Sie sich, dass die Partei gerade jetzt so gut dasteht?

Wir sind als Gesellschaft in einem permanenten Krisenmodus. Die Corona-Pandemie haben wir gerade weitgehend hinter uns gelassen. Nun tobt der schreckliche Krieg in der Ukraine und verbunden damit steigen die Preise für nahezu alle Güter rasant. Das verunsichert die Menschen und macht sie empfänglich für vermeintlich einfache Lösungen. Daraus ergibt sich ein Teufelskreis, weil auch Politiker demokratischer Parteien merken, dass populistische Parolen schneller in die Köpfe gelangen. Wenn sie dieses Spiel mitspielen, nutzt das am Ende der AfD zusätzlich.

Welche Chance hat Politik vor diesem Hintergrund überhaupt noch, mit komplexeren Antworten durchzudringen?

Die Chancen sind nach wie vor sehr gut, aber mit erheblichem Aufwand verbunden. Eine platte Parole bleibt über einen Social-Media-Post oder einen Videoschnipsel schnell hängen. Das funktioniert mit komplexeren Inhalten sicher nicht. Umso wichtiger ist die direkte Ansprache der Menschen. Wir müssen uns die Zeit nehmen, uns ihre Sorgen und Nöte anzuhören und darüber mit ihnen über ganz unterschiedliche Formate und Instrumente ins direkte Gespräch zu kommen, auch wenn es vielleicht manchmal schwerfällt. Das ist unglaublich aufwändig, aber durch nichts zu ersetzen.

Was bedeutet das für die SPD?

Wir müssen uns viel stärker als bisher damit auseinandersetzen, wo unsere Stärken, aber auch wo unsere Schwächen liegen. Wir sind stark, wenn wir unser Engagement gegen Rechtsextremismus in die Waagschale werfen, weil wir eine Haltung haben. Wenn jemand eine Brandmauer gegen rechts errichten und aufrechterhalten kann, dann ist das die SPD. Das bedeutet aber auch, dass die Partei die Landesverbände in Ostdeutschland dabei unterstützten muss, der AfD aktiv etwas entgegenzusetzen. Allein werden wir das schon allein wegen der geringen Mitgliederzahl und der bei weitem nicht so stark wie im Westen ausgeprägten Strukturen nicht schaffen. Das wird am Ende auch der Partei in Westdeutschland helfen, denn ich bin mir sicher, dass das, was gerade im Osten passiert, Vorboten für eine Entwicklung in ganz Deutschland sind.

Reicht das aus oder müssten sich alle demokratischen Parteien gegen die AfD zusammentun?

Ja, das wäre sinnvoll und notwendig. Aus der Not heraus geschieht das ja auch bereits, aber das reicht nicht, zumal manche Parteien hier nur sehr halbherzig handeln. Und wenn sich z.B. die CDU verweigert, in der Stichwahl bei der Landratswahl Oder-Spree im Frühjahr den SPD-Kandidaten gegen den AfD-Mann zu unterstützen, dann ist das genauso fatal, wie wenn Friedrich Merz grundsätzliche Abgrenzungsprobleme zur AfD offenbart und den politischen Hauptgegner der Union in den Grünen sieht anstatt in einer in großen Teilen rechtsextremistischen Partei. Anstelle dessen müssen wir uns als Demokraten auf eine Strategie verständigen, um der AfD an allen nur möglichen Punkten gemeinsam entgegenzutreten. Im Moment finden wir erst dann zueinander, wenn die Situation, wie aktuell, zu eskalieren droht.

Lässt sich die viel zitierte Brandmauer gegen die AfD noch aufrechterhalten, wenn Politiker*innen der Partei Ämter wie das eines Landrats oder Bürgermeisters bekleiden?

Ein Landrat kann nicht gegen den gewählten Kreistag agieren. Wenn jemand von der AfD dieses Amt ausübt wie jetzt in Sonneberg, ist es an den demokratischen Fraktionen im Kreistag, sich zusammen zu tun, und dem Landrat enge Grenzen zu setzen. Geschieht das nicht oder gibt es sogar eine Zusammenarbeit, wird die Brandmauer schnell löchrig und stürzt am Ende ein. Das darf unter keinen Umständen passieren, auch wenn die kommunalen Mandatsträger der demokratischen Parteien dafür über ihren Schatten springen müssen.

Sind sich die demokratischen Parteien da einig?

Ich kann nur für die SPD sprechen und für uns ist unverrückbar klar: Der Feind unserer Demokratie steht rechts! Es kommt jetzt darauf an, demokratische Bündnisse zu schließen, über Parteigrenzen hinweg. Leider scheinen noch nicht alle den Ernst der Lage vollkommen erkannt zu haben. Wir sprechen noch nicht alle eine Sprache. Das muss sich schnell ändern.

Der frühere Ostbeauftragte der Bundesregierung Marco Wanderwitz fordert sogar ein Verbotsverfahren gegen die AfD. Schließen Sie sich dem an?

Die AfD ist in Teilen eine rechtsextreme Partei. Wenn ein Parteiverbot aus klar belegbaren verfassungsrechtlichen Gründen angezeigt ist, bin ich natürlich dafür. Allerdings lösen wir mit einem Verbot der AfD nicht das Problem in der Gesellschaft. Rechtes Gedankengut wird es auch dann weiter geben, wenn die AfD eines Tages tatsächlich verboten werden sollte. Es müsste dann nur der nächste kommen und ein neues Sammelbecken bilden, damit das Ganze von vorne losginge. Deshalb müssen wir ran an die Wurzeln und die Werte unserer Demokratie stärken.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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