So entzaubern Europas Sozialdemokraten die Rechtspopulisten
Österreich ist gerade noch einmal davongekommen. Aber das Ergebnis des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer bei der Wahl zum Bundespräsidenten zeigt, wie hoch die Potenziale rechtspopulistischer Bewegungen mittlerweile sind. Umfragen und Wahlergebnisse in Europa – einschließlich Deutschlands – zeigen alle in dieselbe Richtung. Populistische Parteien legen zu, die traditionellen Parteien verlieren an Zustimmung – an den Rändern der Gesellschaft genauso wie in deren Mitte.
In wohlhabenden Ländern sind Rechtspopulisten besonders stark
Warum ist das so? Und noch wichtiger: Was kann dagegen getan werden? Beide Fragen sind nicht einfach zu beantworten. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass gerade in den wohlhabenden Ländern Rechtspopulisten besonders stark sind. Die wirtschaftliche Krise, die Teile Europas im Griff hält, kann die Ursache nicht wirklich sein. Paradoxerweise ist es nicht das Scheitern, sondern das Funktionieren des Staates, das den Rechtspopulismus trägt.
Er floriert, wo die Bürger etwas zu verlieren haben: In den Wohlfahrtsstaaten Nord- und Mitteleuropas wie der Schweiz, Dänemark oder Österreich. Der Rechtspopulismus greift Verlustängste auf: Die Angst vor dem Verlust eines Status quo, der für die Mehrheit der Menschen immer noch gut funktioniert.
Die Probleme der Bürger viel zu lange ignoriert
Dieser Status quo wird aber zunehmend infrage gestellt: durch Prozesse der Globalisierung ebenso wie durch die Folgen der europäischen Integration. Die Folge ist eine tiefe Verunsicherung vieler Bürger. Dies betrifft wirtschaftliche Abstiegsängste ebenso wie Fragen der Stellung als Staatsbürger. Im politischen System der EU ist nicht mehr so klar erkennbar, wer eigentlich was entscheidet – und welches Gewicht die Mehrheitsentscheidungen der Bürger der einzelnen Länder politisch überhaupt noch haben.
Und schließlich stellt sich zunehmend drängender die Frage nach der soziokulturellen Verunsicherung. Ein Gefühl des Heimatverlustes macht sich breit. Vertraute, liebgewonnene, Identität und Zugehörigkeit stiftende Lebensumstände verändern sich und gehen verloren. Die etablierte Politik (auch die Sozialdemokratie) sagt den Menschen, dass das ganz toll ist. Aber viele Menschen sehen das anders. Und sie haben dafür ihre Gründe, die per se weder schlechter noch besser sind als die der Veränderungsbefürworter.
Die Verunsicherung der Menschen nährt den Populismus
Der Populismus greift diese Gefühle auf und verstärkt sie, aber er schafft sie nicht. Nicht der Populismus treibt die Verunsicherung – es ist die Verunsicherung, die den Populismus treibt. Die etablierten Parteien haben diese Entwicklung viel zu lange ignoriert. Aber die repräsentative Demokratie kennt auf Dauer kein Vakuum: Repräsentationslücken werden früher oder später durch neue politische Bewegungen gefüllt.
Besonders bitter ist dieser Prozess für die Sozialdemokratie in Europa. Denn die Rechtspopulisten stoßen bei Wahlen mittlerweile tief in die sozialen Milieus hinein, aus denen die Sozialdemokratie einst hervorging. 85 Prozent der österreichischen Arbeiter haben für den FPÖ-Kandidaten gestimmt. Trends in ähnliche Richtung zeigen sich auch woanders. Offenkundig fühlen sich immer mehr kleine Leute von den etablierten Parteien der Linken nicht mehr vertreten.
Die europäische Sozialdemokratie braucht eine neue Offenheit
Die europäische Sozialdemokratie wäre gut beraten, sich sehr ernsthaft mit dieser Entwicklung auseinanderzusetzten. Denn die Frage nach Ursache und Wirkung ist so einfach nicht zu beantworten. Wer ist in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich von wem abgerückt – die kleinen Leute von der Sozialdemokratie oder die Sozialdemokratie von den kleinen Leuten? Ist wirklich jeder, der an seinem vertrauten Nationalstaat festhalten will ein „Nationalist“ und „Europafeind“? Ist jeder, der sich Sorgen um Zuwanderung und ihre Folgen macht ein „Rassist“?
Was die europäische Sozialdemokratie braucht, ist eine neue Offenheit: Eine Bereitschaft, sich mit den Sorgen der Menschen, die sie vertreten möchte, wieder ernsthafter auseinanderzusetzen, statt sie, wie es oft genug passiert, belehrend bei Seite zu wischen. Dann würde der rechtspopulistische Spuk sehr schnell wieder in sich zusammenfallen.