Rechtsextremismus-Experte Quent: Thüringen könnte erst der Anfang sein
Wie bewerten Sie die Wahl von Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten?
Mit der Wahl von Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD sind alle Dämme gegen rechts gebrochen. Bürgerliche machen sich mit Rechtsextremisten gemein und lassen sich von ihnen zur Macht verhelfen. Das ist eine Zäsur. Die Mehrheit der Bevölkerung wollte Bodo Ramelow als Ministerpräsident behalten. Die FDP hat es nur mit ein paar Stimmen Vorsprung in den Landtag geschafft. Das zeigt, wie irrational und machtgetrieben diese Aktion ist.
Sie gehen also von einem abgesprochenen Manöver aus?
Das sind doch alles keine politischen Anfänger. Die CDU hätte sich bei der Ministerpräsidentenwahl enthalten müssen. Das hat sie nicht gemacht. Deshalb ist sie für dieses Ergebnis auch mit verantwortlich.
Nun ist ein Ministerpräsident gewählt, der sich aber auf keine Koalition stützen kann. Führt aus Ihrer Sicht noch ein Weg an einer Neuwahl des Landtags vorbei?
Nein, daran führt aus meiner Sicht kein Weg vorbei. Rot-Rot-Grün wird jetzt auf Fundamentalopposition gehen müssen, um dem Rechtsruck überhaupt etwas entgegen zu setzen. Thomas Kemmerich könnte nur dann Ministerpräsident bleiben, wenn er eine Mehrheit unter den Abgeordneten von FDP, CDU und AfD findet, aber das würde zwei dieser Parteien wohl zerreißen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Bundesspitzen von CDU und FDP das zulassen.
Wie sollten Annegret Kramp-Karrenbauer und Christian Lindner reagieren?
Mahnende Worte zum Umgang mit der AfD, wie es sie ja in der Vergangenheit schon gab, reichen aber offensichtlich nicht mehr aus.
Welche Folgen erwarten Sie nach diesem Tag über Thüringen hinaus?
Das hängt davon ab, wie die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft und die Parteien bundesweit reagieren. Wenn man nicht will, dass dieser Dammbruch über Thüringen hinausreicht, muss man auch bundespolitisch sehr harsch reagieren. Aus meiner Sicht muss die SPD nach dieser Aktion die Koalition mit der CDU auf Bundesebene infrage stellen, wenn sie eine Brandmauer gegen rechts sein will, wie sie es immer betont. Im kommenden Jahr wird in Sachsen-Anhalt gewählt. Dort hat die AfD keinen Höcke. Wenn jetzt nicht entschieden reagiert wird, ergießt sich ein brauner Strom aus dem kleinen Thüringen hinaus auf den Rest der Republik.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.