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Rechtsextremismus an Brandenburger Schulen: „Niemand darf weggucken.“

Rechtsextreme Vorfälle an Brandenburger Schulen haben jüngst für Aufsehen gesorgt. Zwei Lehrer*innen verlassen nun eine Schule. SPD-Bildungspolitikerin Katja Poschmann über Schulen als Demokratieorte, rote Linien und Unterstützung für Lehrer*innen
von ohne Autor · 13. Juli 2023
Deutlich machen, wo die Grenzen sind: SPD-Bildungspolitikerin Katja Poschmann
Deutlich machen, wo die Grenzen sind: SPD-Bildungspolitikerin Katja Poschmann

Nach verschiedenen Vorfällen hat Brandenburgs Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) Ende Juni Lehrer*innen und Expert*innen Fachgespräch „Extremismus an Schulen“ eingeladen. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?

Es waren sehr viele Leute vor Ort: Lehrer*innen und Menschen, die sich für ein tolerantes Brandenburg einsetzen. Vertreter*innen mehrerer außerschulischer Stellen, darunter das Landesamt für Verfassungsschutz und die Koordinierungsstelle Tolerantes Brandenburg. Den Lehrkräften wurde signalisiert: Ihr werdet mit dem Thema Rechtsextremismus nicht alleingelassen. Es gibt viele Anlaufstellen und Projekte in Brandenburg, diese müssen sich besser vernetzen. Es ist gut, dass das Programm „Starke Lehrer – starke Schüler" im kommenden Jahr massiv ausgeweitet und verstetigt wird. 

Mit Blick auf die rechtsextremen Vorfälle an Schulen, in einem Ferienlager im Landkreis Dahme-Spreewald und an der Uni Potsdam: Erlebt Brandenburg einen Rückfall in die 90er-Jahre?

Es gibt eine gefährliche Entwicklung. Damals waren Rechtsextreme an Bomberjacken und Springerstiefeln zu erkennen. Das hat sich geändert. Rechtsextremes Denken hat bürgerliche Formen angenommen. Man denke nur an die Verschwörungstheoretiker*innen. In breiten Bevölkerungskreisen gibt es Misstrauen gegenüber unserem politischen System, befeuert von populistischen Parolen, etwa von der AfD. Es gibt aber eine stärkere Sensibilität in Zivilgesellschaft und Politik, eine klarere Benennung und mehr stabile und erfahrene Interventionsstrukturen als in den 90er-Jahren.

Woran hakt es beim Kampf gegen Rechtsextremismus an Brandenburger Schulen? Wo sehen Sie Erfolge?

Lehrende und Schulkinder sind an ihre Rahmenlehrpläne gebunden, es gibt wenig Zeit für Reflexion und Austausch. Wir brauchen mehr Raum für gemeinsame, sogar klassen- und jahrgangsübergreifende Projekte. Wir dürfen nicht den Blick für den anderen verlieren. Es ist gut, dass die Schulsozialarbeit gestärkt werden soll. Wir benötigen mehr Multiprofessionalität an Schulen, also Teamarbeit zwischen Pädagog*innen, Psycholog*innen und Erzieher*innen. 

Bildungsforscher*innen kritisieren, dass Demokratieförderung und humanistische Bildung an allen deutschen Schulen zu kurz kommen. Braucht es grundlegende Reformen?

Rahmenlehrpläne sollten sich nicht an Fächern, sondern an Themen orientieren. Es sollte Raum für mehr Miteinander geschaffen und weniger Frontalunterricht gegeben werden. Selbstlernzeiten sollten erweitert werden: Dabei arbeiten Schüler*innen, pädagogisch begleitet, jahrgangsübergreifend an verschiedenen Themen. Gruppenarbeit ist zentral, um ein Demokratieverständnis zu entwickeln. Demokratieerleben in der Schule ist in unserem Bildungssystem offensichtlich noch schwer umzusetzen. Das hat mit Selbstbestimmung und Mitbestimmung zu tun – auch im normalen Schulalltag. Dass Kinder das nicht so erleben, wenn sie immer Frontalunterricht haben, das ist klar. Das zu ändern, dauert leider lange, Bildung ist ein Riesentanker.

Stößt die Politik beim Thema Rechtsextremismus an Schulen auch an ihre Grenzen, weil Schulleitungen und Behörden vor Ort bisweilen nicht mitziehen?

Lehrer*innen können nicht allein auf sich gestellt sämtliche gesellschaftlichen Probleme lösen. Beim Umgang mit Rechtsextremismus brauchen sie Unterstützung. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Niemand darf weggucken. Viele Schüler*innen bringen diese Einstellung von zu Hause oder von ihrem Sportverein mit. Auf allen Ebenen müssen wir die Grenzen des Tolerierbaren aufzeigen. Wenn alle mitmachen, stärken wir dadurch auch unsere Schulen. 

Laut dem brandenburgische Bildungsministerium sollen Sanktionen wie Schulverweise nur die allerletzte Konsequenz bei rechtsextremen Vorfällen sein. Wäre nicht mehr Härte angebracht, um diesen Schüler*innen Grenzen aufzuzeigen?

Was soll ein Schulverweis bringen? Wahrscheinlich sitzt das Schulkind nur noch zu Hause und macht so weiter wie vorher. Nichts wäre gewonnen. Wenn wir etwas bewegen wollen, müssen wir diese Jugendlichen dort abholen, wo sie stehen. Sanktionen erscheinen auf den ersten Blick für viele am naheliegendsten. Pädagog*innen blicken in der Regel weiter. Mein persönlicher Fokus liegt darin, die Gedenkstättenarbeit auszubauen und Demokratieprojekte zu fördern. Kinder sollen in der Schule dazu befähigt werden, ein selbstbestimmtes und reflektiertes Leben zu führen. Hier spielt eine partizipative Schulkultur eine große Rolle.

Wie sollen Schulen dann rote Linien aufzeigen?

Indem man mehr miteinander redet. Lehrer*innen, aber auch Eltern oder Erwachsene, zum Beispiel im Sportverein, müssen deutlich machen, wo die Grenzen der Toleranz liegen. Und zwar unmittelbar und ganz direkt. Straftaten wie Hakenkreuzschmierereien müssen aufgeklärt werden. Die Frage ist aber auch: Warum wissen die Jugendlichen nicht, dass sie eine Straftat begehen? Warum finden sie es okay?

Die Potsdamer Bildungsforscherin Nina Kolleck fordert, dass der Umgang mit Rechtsextremismus für angehende Lehrer*innen in Brandenburg – nach sächsischem Vorbild – verpflichtender Ausbildungsinhalt werden soll. Was halten Sie von der Idee?

Darüber kann man reden. Andererseits: Wer mit Kindern oder Jugendlichen arbeitet, bildet sich ohnehin regelmäßig weiter. Auch zum Umgang mit Rechtsextremismus. Dafür brauchen Lehrkräfte Zeit. Die fehlt oft. Klar ist aber auch: Lehrpersonen müssen sich auch bewegen, wenn sie ihrer Rolle gerecht werden wollen.

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