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Rechter Verfolgungswahn: Von den „Reichsbürgern“ bis zur AfD

Sie sind mehr als Spinner und Querulanten: Die sogenannten Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten stellen eine echte Gefahr dar. Ein neues Buch liefert Einblicke in das sonderbare Milieu am rechten Rand – von klassischen Hitler-Fans bis hin zur AfD.
von Paul Starzmann · 28. Februar 2018
Reichsbürger
Reichsbürger

Es ist wohl der einfachste Weg für einen durchschnittlichen Bürger, in kürzester Zeit zum Regierungschef aufzusteigen: das „Einschreiben-Rückschein-Verfahren“. Der ehemalige Berliner Bahnangestellte Wolfgang Gerhard Günter Ebel hat es damit – zumindest nach eigenen Angaben – sogar bis zum „Reichskanzler“ geschafft.

„Vom Wahn des bedrohten Deutschen“

Mitte der 1980er verschickte er ein Schreiben an die Alliierte Kommandantur in West-Berlin. Darin bat er höflich, als Einzelperson die Rechtsnachfolge der Deutschen Reichsregierung übernehmen zu dürfen. Den Brief versandte Ebel per Einschreiben. Den Rückschein der Post wertete er anschließend einfach als Zustimmung der US-Truppen zu seinem Vorschlag. Fortan behauptete er, Chef einer angeblichen „Kommissarischen Reichsregierung“ zu sein. Zwar wurde er später von einem bundesdeutschen Gericht für unzurechnungsfähig erklärt. Seine Anhänger hielten ihm dennoch bis zu seinem Tod 2014 die Treue – manche streiten bis heute, wer den „Reichskanzler“ beerben dürfe.

Diese skurrile Geschichte aus dem Milieu der „Reichsbürger“ erzählt der Politologe Jan Rathje in seinem neuen Buch „Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten“. Untertitel: „Vom Wahn des bedrohten Deutschen“. Das kleine Buch bietet einen kompakten Überblick über die vielen Strömungen von Verschwörungstheoretikern, Geschichtsrevisionisten und allerlei Rechtsextremisten, die oft unter dem Begriff „Reichsbürgerbewegung“ zusammengefasst werden. Dass es so eine einheitliche Bewegung tatsächlich gibt, das bezweifelt Rathje allerdings. Vielmehr sei richtig, „dass es sich um sehr heterogene Gruppen und Einzelpersonen handelt, bei denen Spaltungen häufiger anzutreffen sind als Formen der Zusammenarbeit“.

Deutschland angeblich fremdgesteuert

In der Tat scheint es in der Szene die unterschiedlichsten Akteure zu geben – von klassischen Rechtsextremen, die den Holocaust leugnen und das Dritte Reich wiederbeleben wollen, bis hin zu „Selbstverwaltern“, die glauben die Bundesrepublik sei eine „GmbH“, aus deren Fängen sich die Menschen befreien müssten. Rund 40 selbsternannte „Reichsregierungen“ gebe es derzeit im Bundesgebiet, schreibt Rathje. Als Grundlage für ihre Ideen werden oft die absurdesten Interpretationen von realen Rechtstexten herangezogen – die mit seriösen Rechtswissenschaften aber freilich nichts zu tun haben.

Gemeinsam sei den verschiedenen Gruppen eines, schreibt Rathje: Alle glaubten, die Bundesrepublik existiere nicht oder sei zumindest kein souveränes Land – sondern fremdgesteuert von irgendwelchen dunkeln Mächten. Hinter dieser Vorstellung stecke immer der „Vorwurf der Verschwörung“, erklärt Rathje. Viele glaubten dabei an den Klassiker unter den antisemitischen Mythen: der angeblichen jüdischen „Weltverschwörung gegen die Deutschen“.

Verschwörungstheorien im AfD-Programm

Die Deutschen als vermeintliche Opfer – dieses Motiv findet sich auch in den Reihen der AfD, wie Rathje in seinem Buch zeigt. Im Programm der Rechtspopulisten sei etwa von einem „heimlichen Souverän“ die Rede, einem Begriff aus der „Reichsbürger“-Szene. Rathje zählt die AfD zu den „Souveränisten“, die wie viele der „Neuen Rechten“ glaubten, das EU-Mitglied Deutschland habe längst seine staatliche Unabhängigkeit an eine kleine, geheime Gruppe von Mächtigen abgegeben. Diese arbeiteten nun gegen das „deutsche Volk“. Auch in der AfD gibt es ihn also, den „Wahn vom bedrohten Deutschen“.

Anfällig für solche Ideen seien die unterschiedlichsten Menschen, schreibt Rathje. „Verschwörungsideologien stellen eine Möglichkeit dar, Halt in einer sich stetig verändernden Welt zu finden.“ In dem empfehlenswerten Buch geht der Autor auf die vielen Aspekte der Szene aus rechten Ideologen, Systemverweigerern sowie armen Irren ein: Er erklärt die Entstehungsgeschichte der „Reichsregierungen“, zeigt ihre Verbindungen ins extrem rechte und rechtspopulistische Lager auf und widmet sich den sozialen Faktoren, die ein Abdriften in das eigenartige Milieu begünstigen.

Tödliche Schüsse auf einen Polizisten

Dass es sich dabei um viel mehr als harmlose Spinnereien handelt, wird ebenfalls deutlich in dem Buch. Spätestens seitdem ein Mann aus dem Milieu im Oktober 2016 einen Polizisten tötete, nehmen die Behörden die Szene verstärkt in den Fokus. „Das Skurrile weicht der Erkenntnis des Gewaltpotenzials“, schreibt Rathje. „So häufen sich dann auch die Meldungen über Waffen-, Munitions- und Sprengstofffunde.“

Jan Rathje: Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten. Vom Wahn des bedrohten Deutschen, 77 Seiten, Unrast Verlag, ISBN 978-3-89771-141-9, 7,80 Euro.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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