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Rassismus hinterm Werkstor – woher er kommt, was dagegen hilft

Was tun, wenn sich Arbeitskolleg*innen rassistisch äußern? Was tun, wenn der Betriebsrat aktiver AfD-Politiker ist? Zu diesen handfesten Fragen diskutierten jüngst Mitglieder der IG Metall mit Genoss*innen und dem Soziologen Klaus Dörre.
von Benedikt Dittrich · 22. Februar 2021
Zukunftsängste: Demonstration der IG Metall in Stuttgart gegen Stellenabbau bei Daimler.
Zukunftsängste: Demonstration der IG Metall in Stuttgart gegen Stellenabbau bei Daimler.

Auf den Betriebsrat in Untertürkheim kommen sie immer wieder zu sprechen. Es ist nur eine kleine Zahl aktiver Betriebsräte, nur ein kleiner Teil der Belegschaft, die sie gewählt haben – und trotzdem kann „Zentrum Automobil“ sich behaupten in der Daimler-Arbeiterschaft. Die Kontra-Gewerkschaft mit einem Neonazi an der Spitze, der trotz – oder gerade wegen seiner rassistischen Gesinnung – Stimmen bei vergangenen Betriebsratswahlen in der baden-württembergischen Produktionsstätte des Automobilkonzerns gewonnen hat.

Es ist ein sichtbares Beispiel eines viel größeren Problems, das der Soziologe Klaus Dörre in der Debatte aus wissenschaftlicher Sicht einordnet: Es gebe eben in den Unternehmen Menschen mit rechtsextremen Tendenzen, mit Denkrichtungen, die Fremdenfeindlichkeit beinhalten oder befördern könnten. Je nach Ausprägung spricht der Extremismusforscher aus Jena aber von einem gemeinsamen Nenner: „Der Glaube an den Aufstieg ist dahin. Daran wird nicht mehr geglaubt.“ Über Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken, warum überhaupt rechtsextreme Tendenzen in der Arbeiterschaft und unter Gewerkschaftsmitgliedern immer stärker sichtbar werden, dazu hatte die Friedrich-Ebert-Stiftung in Niedersachsen eingeladen. Neben Klaus Dörre beschäftigten sich mit diesen Fragen auch IG-Metall-Bildungsreferentin Chaja Boebel sowie Björn Allmendinger und Sascha Howind, Herausgeber des Sammelnbands „Rechtspopulismus in der Arbeitswelt.“

Ängste und Sorgen ohne politisches Echo

Aus Sicht von Dörre geht es dabei zunächst um Zukunftsängste in den Belegschaften, beispielsweise in der Automobilbranche. Dort verfestigt sich offenbar die Wahrnehmung, dass die Ängste und Sorgen von Arbeiter*innen in der gesellschaftlichen Debatte nicht genügend berücksichtigt werden, dass ihre Arbeit nicht wertgeschätzt werde. „Andere ziehen an der Warteschlange vorbei“, beschreibt Dörre den Eindruck, den einige mit Blick auf die Flüchtlingsdebatte entwickelt haben. „Wir haben eine Repräsentationslücke im politischen System für diese Familien und Arbeiter“, ergänzt er. Aus Sicht des Sozialwissenschaftlers gibt es eine radikalisierte, strukturierte Weltsicht in weiten Teilen der Arbeiterschaft. Als Beleg dafür nimmt er das Wählerpotential der AfD in Thüringen. Ein AfD-Landesverband mit einem eindeutigen Rassisten an der Spitze, worüber sich viele Wähler*innen im Klaren seien, sagt Dörre – und trotzdem wurde die Landes-AfD mit Björn Höcke an der Spitze drittstärkste Kraft in Thüringen.

Aber, das ergänzt wiederum Björn Allmendinger direkt, auch in Westdeutschland habe die AfD zweistellige Erfolge feiern können. Das Wählerpotential selber spiegelt sich dabei auch in der Belegschaft der Unternehmen wieder, sagt der Regionalleiter der Bildungsvereinigung Arbeit und Leben in Niedersachsen. Auch Dörre weist auf die wachsende Gefahr der Radikalisierung unter Arbeiter*innen hin – in manchen Betrieben wären diese sogar schon in der Mehrheit.

Doch was tun gegen diese schleichende Radikalisierung, diese Art von Rechtspopulismus, die vielleicht schon immer da war – auch unter Gewerkschaftsmitgliedern? Chaja Boebel, IG-Metall Bildungsreferentin, legt da den Fokus auf die Bildungsarbeit. Sie sieht auch die Gefahr, dass der Einfluss dieser Tendenzen bei den anstehenden Betriebsratswahlen noch einmal zunehmen könnte. Gewählt wird im kommendem Jahr. „Rechte Kader werfen ihre Fangruten auch in den Betrieben aus“, warnt sie.

Demokratie verteidigen – erst recht als Gewerkschaft

Ihrer Ansicht nach müsste man den Genoss*innen stärker ins Bewusstsein rufen, dass Gewerkschaften wie die IG Metall eben auch Verteidiger der freiheitlich-demokratischen Grundordnung seien. „Wir haben die politische Grundlagenbildung vernachlässigt“, merkt sie dabei kritisch an und appelliert, die Vermittlung solcher Grundwerte in Bildungsseminaren wieder stärker zu thematisieren – statt beispielsweise zu sehr juristische Paragraphen und ähnliches zu thematisieren.

Aber was tun, wenn sich Kolleg*innen rassistisch äußern, wenn Betriebsräte in der Kantine offen Stimmung gegen Migrant*innen und Geflüchtete machen? Darauf hat Boebel eine simple Antwort: „Klappe aufmachen!“ Das sei erstmal die richtige Reaktion, statt die Hetze schweigend hinzunehmen – denn die mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild seien weiterhin die Minderheit. „Die, die schwanken, kann man noch überzeugen.“ Die inhaltliche Debatte, dass es eben nicht nur schwarz und weiß und keine einfachen Antworten auf großen Probleme gebe, das brauche dann Zeit – aber dafür mache man letztlich auch Bildungsarbeit. „Das erfordert natürlich auch eine Menge Mut“, ergänzt Sascha Howind, Co-Autor des Sammelbands, aber: Wenn man das Eis breche, den Mund aufmache, „dann ist man häufig auch nicht mehr alleine.“

Allmendinger nennt es auch „klare Kante und offene Tür“: Klare Grenzen aufzeigen, aber gesprächsbereit bleiben. Außerdem könne man auch präventiv Unterstützung organisieren, ergänzt Boebel, dazu gebe es auch Hilfen innerhalb der Gewerkschaften, beispielsweise über die „Gelbe Hand“. Klaus Dörre hofft indes, dass in der Bildungsarbeit auch Angebote entwickelt werden, die diejenigen erreichen, deren Weltbild zu kippen drohe. Ein Kommunikationsabbruch oder eine Abwertungsdiskussion – auch mit Blick auf die anstehenden Wahlkämpfe in den Betrieben: Die sollten immer um die Zukunft geführt werden und nicht in direkter Auseinandersetzung mit AfD und co.

Da sieht Dörre außerdem aktuell gute Chancen: „Die extreme Rechte ist zu schlagen“, sagt er – trotz oder sogar gerade wegen der Coronakrise. „Aber man muss mit Vernunft argumentieren.“

Buchtipp: „Rechtspopulismus in der Arbeitswelt – Hintergründe - Erscheinungsformen - Handlungsoptionen.“ Herausgeber: Allmendinger, Björn; Howind, Sascha, erschienen im Offizin-Verlag.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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