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„Querdenken“-Demo in Leipzig: „Eine Auflösung wäre in jedem Fall gerechtfertigt gewesen.“

Nach Ansicht von Thomas Witzgall von „Endstation Rechts“ hatten die „Querdenken“-Demonstrant*innen am Samstag in Leipzig von Anfang an ein Ziel: widerrechtlich auf den Innenstadtring zu gelangen. Die Aktion erinnert an die Vorfälle am Reichstag Ende August.
von Kai Doering · 9. November 2020
Dichtgedrängt, ohne Masken, dafür mit rechtsextremer Symbolik: Die Demonstrant*innen am Samstag in Leipzig hatten ein klares Zeil, meint Markus Witzgall.
Dichtgedrängt, ohne Masken, dafür mit rechtsextremer Symbolik: Die Demonstrant*innen am Samstag in Leipzig hatten ein klares Zeil, meint Markus Witzgall.

Für Samstag hatte die „Querdenken“-Initiative zur Demonstration in Leipzig aufgerufen. Sie waren als Journalist dabei. Wer war da unterwegs?

„Querdenken“ hält ja zurzeit fast jede Woche wie eine Art Reisezirkus bundesweit unterschiedlich große Kundgebungen ab. Für das vergangene Wochenende hatten sie sich Leipzig ausgesucht wegen der historischen Ereignisse dort im Oktober und November 1989. Parallel dazu hat eine massive Mobilisierung aus der rechtsextremen Szene stattgefunden. Das war dann auch die Klientel, die am Samstag auf der Straße gewesen ist.

Haben beide Gruppen getrennt voneinander demonstriert oder sich vermischt?

Rechtsextreme Symbolik gab es eigentlich überall, wo ich gewesen bin, auch bei der zentralen „Querdenken“-Veranstaltung auf dem Augustusplatz. Hooligans und die NPD hatten aber auch einen eigenen Block in der Goethestraße. Es soll auch eine gesonderte Demonstration von Anhängern der NPD gegeben haben. Davon weiß ich aber nur von Kollegen.

Der sächsische Innenminister Roland Wöller hat die Demonstrationen vom Samstag als „überwiegend friedlich“ beschrieben. War das auch Ihr Bild vor Ort?

Das ist eine Frage, welchen Maßstab man anlegt. Wenn die Demonstranten ohne Einhaltung der Auflagen wie Mindestabstand oder das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes auf dem Augustusplatz stehen und die Polizei nicht eingreift, bleibt es natürlich friedlich. Sie werden ja in ihrer heilen Welt nicht gestört. Nicht erst in Leipzig hat sich gezeigt, dass die Menschen, die gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren, eine riesige Wut haben, die aber einen Reibungspunkt braucht, damit sie sich entlädt. Wenn die Polizei versucht, die geltenden Hygienemaßnahmen durchzusetzen, wird es schnell aggressiv. Da reicht es schon, wenn sie per Lautsprecher dazu aufruft, den notwendigen Abstand einzuhalten. Das hat man auch in Leipzig gesehen. Wie aggressiv eine Demonstration der „Querdenker“ letztlich ist, liegt also auch daran, ob die Polizei geltendes Recht durchsetzt oder nicht.

Wie haben Sie das Auftreten der Polizei am Samstag wahrgenommen?

Sehr zurückhaltend. Bei der Haupt-Demo auf dem Augustusplatz waren nur wenige Polizisten. Der Gegenprotest hatte dagegen sehr viel Polizeibegleitung. Nachdem die Demonstration aufgelöst worden war und die Menge Richtung Ring zog, stand den Demonstranten nur eine dünne Polizeikette gegenüber. Damit war eigentlich klar, dass sich die Menge ihren Weg selbst freibahnen würde, zumal sie von Durchsagen per Megafon noch aufgestachelt wurde. Es war klar, dass sich die Leute holen wollten, was ihnen gerichtlich nicht erlaubt worden war: einen Demonstrationszug über den politisch und historisch aufgeladenen Innenstadtring. Das war von „Querdenken“ von vornherein eingeplant. Es wird ja bisher viel von den anwesenden Hooligans und ihren Angriffen mit Pyrotechnik und Flaschen auf die Polizei berichtet, aber der letzte Druck, um widerrechtlich auf den Innenstadtring zu gelangen, ging definitiv von „Querdenker“-Publikum aus.

Von verschiedenen Seiten wird kritisiert, die Polizei hätte die Demonstration viel schneller auflösen müssen. Wäre das aus Ihrer Sicht unter diesen Umständen überhaupt möglich gewesen?

Es wäre in jedem Fall schwierig geworden, denn es gab aus meiner Sicht kein Konzept, mit so einer großen Menschenmenge umzugehen. Die Polizei muss natürlich immer grundrechtsfreundlich agieren und deshalb den Organisatoren auch die Möglichkeit geben, Auflageverstöße zu korrigieren. Bei der Demonstration am Samstag hatte ich allerdings den Eindruck, dass den Veranstaltern höchstens pro forma daran gelegen war, die Auflagen einzuhalten. Eine Auflösung wäre also in jedem Fall gerechtfertigt gewesen. Dass die Polizei eine Demonstration ab einer bestimmten Größe kaum noch auflösen kann, ist da sicher von vornherein einkalkuliert gewesen. Dass sich die Demonstranten der Polizei da schnell überlegen fühlen, ist nicht verwunderlich.

Nach dem Eklat am Reichstag im September war das nun die zweite Aktion, die die rechten Kräfte rund um „Querdenken“ als Erfolg verbuchen können. Müssen wir uns auf weitere einstellen?

Berlin und Leipzig waren sicher Sondersituationen, weil es mit dem Reichstag und dem Innenstadtring politisch aufgeladene Orte gibt. In beiden Fällen haben die Rechtsextremen im Vorfeld auch massiv mobilisiert. Ihnen ging es vor allem um die Bilder. An anderen Orten ist das so nicht unbedingt wiederholbar. Gleichzeitig bedeutet das aber auch nicht, dass die Gefahr gebannt ist, wenn die Kundgebungen von „Querdenken“ in den kommenden Wochen wieder weitgehend ruhig verlaufen. Die Situation bleibt angespannt.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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