BNR

Prozess in Frankfurt: Was den mutmaßlichen Lübcke-Mörder antrieb

Im Prozess um den Mord an Walter Lübcke kam der mutmaßliche Täter Stephan E. am zweiten Verhandlungstag ausführlich zu Wort: in der Videovernehmung mit dem inzwischen widerrufenen Geständnis des Kasseler Rechtsextremen. Daran schildert er seine Beweggründe detailliert.
von Joachim F. Tornau · 18. Juni 2020
Von Hass getrieben oder kühl kalkulierend? Die Aussagen des mutmaßlichen Mörders von Walter Lücke, Stephan E., sind widersprüchlich.
Von Hass getrieben oder kühl kalkulierend? Die Aussagen des mutmaßlichen Mörders von Walter Lücke, Stephan E., sind widersprüchlich.

Stephan E. war von sich selbst zu Tränen gerührt. Der Mann, der den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke kaltblütig erschossen haben soll, sah sich selbst auf der Leinwand. Sah, wie er bei seiner polizeilichen Vernehmung vor knapp einem Jahr zu weinen begann – und verlor prompt auch im Gerichtssaal die Fassung. Kurz musste er sich das Gesicht mit einem Taschentuch trocknen, eine Pause aber wollte er nicht. Und es geschah danach auch nicht noch einmal, dass ihn das Ansehen seines jüngeren Ichs zum Weinen brachte. Nicht um die Tat war es dabei gerade gegangen. Sondern um seine beiden Kinder, seine damals 15-jährige Tochter und seinen 17-jährigen Sohn.

Das zurückgezogene Geständnis

Im Prozess um den mutmaßlich rechtsextremen Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke begann vor dem Frankfurter Oberlandesgericht am Donnerstag die Beweisaufnahme. Abgespielt wurde die Videovernehmung, in der Stephan E. zehn Tage nach seiner Festnahme die Tat gestanden hatte. Es ist jenes Geständnis, das er später wieder zurückzog und durch eine neue Version ersetzte: Aus dem von ihm allein geplanten und durchgeführten Attentat, von dem er zunächst berichtet hatte, wurde dabei ein von seinem Mitangeklagten Markus H. versehentlich abgefeuerter Schuss. Das fatale Ergebnis eines Versuchs der beiden rechtsextremen Kameraden, den Regierungspräsidenten für seine flüchtlingsfreundliche Politik lediglich zur Rede zu stellen.

Mehr als fünf Stunden lang ist die Aufzeichnung jenes ursprünglichen Geständnisses, das die Bundesanwaltschaft nach wie vor für zutreffend hält. Ruhig und wortgewandt, seine Worte mit bedachten Gesten unterstreichend, gibt der Angeklagte den Ermittlern Auskunft. Bereitwillig spricht er über seine Einbettung in die rechtsextreme Szene Kassels – wobei er sich allerdings eher als eine Art Mitläufer darstellt – und über seinen Rückzug nach der jüngsten Verurteilung 2010: „Ich wollte Teil dieser Gesellschaft sein. Ich wollte ein normales Leben führen.“ Er erwähnt psychische Probleme, Depressionen, eine Therapie. Und wenn es um seinen Hass geht, der ihn schließlich zum Mörder habe werden lassen, versucht er sich auch selbst als Küchenpsychologe in eigener Sache.

Stephan E.: getrieben und planvoll

Immer wieder habe er sich Internetvideos von islamistischen Anschlägen angesehen oder von der Enthauptung zweier skandinavischer Rucksacktouristinnen in Marokko. Das sei „wie so eine manische Sache“ gewesen. „Ein krankhaftes Ding, was mich nicht mehr losgelassen hat.“ Wenige Tage nach der Kölner Silvesternacht 2015 sei er völlig außer sich vor Wut durch die Straßen gelaufen und habe Wahlplakate von Grünen und SPD zerstört. „In dem Moment ist es wirklich so über mich gekommen.“ Es war wohl der 6. Januar 2016, der Tag, an dem in Lohfelden bei Kassel der irakische Geflüchtete Ahmed I. von dem Verdächtigen niedergestochen worden sein soll. Wovon der Angeklagte in der Videovernehmung freilich nichts sagt. Er will aber einem zufälligen Passanten, den er für einen Ausländer hielt, wutentbrannt entgegengeschleudert haben: „Euch müsste man den Hals abschneiden!“

Stephan E., ein Getriebener. Das ist das Bild, das er in der Vernehmung von sich zu zeichnen versucht. Doch dazwischen zeigt sich immer wieder auch ein anderer Stephan E. Einer, der sehr planvoll vorgeht. Der mit Arbeitskollegen – einer davon der Mitangeklagte Markus H. – über „Überfremdung“, „Ausländerkriminalität“ und einen zu erwartenden „Bürgerkrieg“ diskutiert. Der sich deswegen Waffen beschafft und auch gezielt an zwei gleichgesinnte Kollegen weiterverkauft. Der Recherchen anstellt über Walter Lübcke, weil der in seinen Augen mit verantwortlich ist für jeden Anschlag und jedes Verbrechen, das ihm in den Social-Media-Videos begegnet. „Ich habe die Dinge, die geschehen sind, nicht mit Ausländern in Verbindung gebracht“, sagt E. in der Vernehmung. „Ich habe sie einzig und allein mit dem Herrn Lübcke in Verbindung gebracht.“

In zwei Wochen wird das zweite Geständnis gezeigt

Er erzählt den Ermittlern, wie er das Haus der Lübckes in Wolfhagen-Istha ausgekundschaftet habe, wie er immer wieder hingefahren sei, irgendwann auch mit der Waffe in der Hand. Wie er schon 2017 beschlossen habe, dass er zur Tat schreiten werde, wenn im Dorf wieder Kirmes ist. Wie er ein Jahr später bereits drei Meter von seinem Opfer entfernt gestanden habe, unbemerkt, den Finger am Abzug, und doch nicht geschossen habe. Und wie er schließlich in der Nacht auf den 2. Juni 2019 getan habe, was er sich schon so lange ausgemalt habe: Walter Lübcke zu erschießen. Nur dreieinhalb Wochen liegt das zurück, als Stephan E. dieses Geständnis ablegt. Doch er spricht so distanziert davon, als sei es ewig her. Oder als gehe es bei alledem gar nicht um ihn.

Am 30. Juni wird der Prozess fortgesetzt. Dann soll sein zweites Geständnis auf der Leinwand im Gerichtssaal zu sehen sein.

Autor*in
Joachim F. Tornau

arbeitet als freier Journalist in Kassel und Hamburg. Einer seiner Schwerpunkte ist dabei die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare