Omas gegen Rechts: „Rassismus und völkisches Denken sind nach dem Krieg nicht verschwunden.“
imago images/Stefan Zeitz
Unter dem Motto „Das Ende der Pandemie – Der Tag der Freiheit“ mobilisieren Corona-Leugner*innen und Verschwörungsideolog*innen für den 1. August bundesweit für eine Demonstration auf der Straße des 17. Juni in Berlin. Dabei gehen sie bewusst den Schulterschluss mit Rechtsextremist*innen und Rassist*innen ein. Die „Omas gegen Rechts“ warnen dringend davor, diesem Aufruf zu folgen und rufen zu einer „Kundgebung für Erinnerungskultur“ am Holocaust-Mahnmal auf. „Oma“ Annette Gardemann erklärt, wieso.
Für den kommenden Samstag rufen die „Omas gegen Rechts“ zu einer „Kundgebung für Erinnerungskultur“ am Holocaust-Mahnmal in Berlin auf. Warum?
Die Mitglieder der „Omas gegen Rechts“ gehören einer Kriegs- bzw. Nachkriegsgeneration an. Da sind die Erinnerungen teilweise noch sehr präsent. Wir stellen uns prinzipiell gegen jede Form des Faschismus und sehen es auch als unsere Aufgabe, daran zu erinnern, wie die Dinge gewesen sind. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass Rassismus, Antisemitismus und völkisches Denken auch nach dem Krieg nicht verschwunden sind. Die Demonstrationen gegen die Corona-Bestimmungen sind ein Ausdruck davon.
Warum findet die Kundgebung gerade am Holocaust-Mahnmal statt?
Das ist unsere Art einer gelebten Erinnerungskultur. Dass wir am Samstag am Mahnmal für die ermordeten Juden stehen, soll – gerade nach den Anschlägen der vergangenen Monate wie in Halle – unterstreichen, dass wir fest an der Seite unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger stehen.
Corona-Leugner, Verschwörungsideologen und Rechtsradikale mobilisieren für Samstag bundesweit zu einem „Tag der Freiheit“. Fällt die Gegenmobilisierung bei einer solchen Wortwahl schwer?
Es ist ja nicht das erste Mal, dass die Rechten versuchen, mit eigentlich links besetzten Begriffen in anderen Bereichen der Gesellschaft zu fischen. Dahinter steckt ein perfider Mechanismus, linke Themen von rechts zu okkupieren, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Das machen wir vor allem in persönlichen Gesprächen, z.B. bei unseren regelmäßigen Mahnwachen am Alexanderplatz. Ich hoffe sehr, dass die Menschen dem nicht auf den Leim gehen.
Können Sie sich erklären, warum Menschen in der Corona-Krise plötzlich Verschwörungsgedanken nachlaufen?
Auch wenn wir uns selbst für sehr rational halten, sind viele Menschen letztlich wohl doch häufig emotional und impulsgesteuert. Das macht es manchen leicht, sie in Extremsituationen wie der Coronakrise einzufangen. Das Bildungssystem und die Entwicklung des Sozialsystems der letzten 30 Jahre tragen auch nicht gerade dazu bei, dass die Menschen ihren Verstand gebrauchen. Wir „Omas“ hoffen, da einen Kontrapunkt setzen zu können.
Die „Omas gegen Rechts“ haben ja mittlerweile einen gewissen Kultstatus. Was motiviert Sie, gegen Rechtspopulisten und Neonazis auf die Straße zu gehen?
Viele von uns waren in unserer Jugend politisch aktiv, die meisten eher im linken Spektrum. Das hat uns geprägt. Obwohl wir weiter politisch gedacht haben, sind zwischenzeitlich andere Dinge wichtiger geworden: die Familie, der Beruf. Nun stehen wir an einem Punkt, an dem wir sehen müssen, dass sich das Land nicht gerade zum Positiven entwickelt. Das gilt für den um sich greifenden Rechtspopulismus ebenso wie für den Kampf gegen den Klimawandel. Die Frage, welche Welt wir unseren Kindern und Enkeln überlassen, spielt dabei auch eine große Rolle.
Was erhoffen Sie sich konkret von der Kundgebung am Samstag?
Wir wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir annehmen würden, mit dieser einen Veranstaltung würde sich alles zum Guten wenden und die Leute würden schlagartig vernünftig werden. Das braucht natürlich Zeit. Ich hoffe einfach, dass wir gute Gespräche führen werden und den einen oder anderen Zweifler überzeugen können, dass die Corona-Maßnahmen durchaus sinnvoll sind und ihm die Augen öffnen, mit wem er da auf die Straße geht. Wenn uns das gelingt, haben wir schon eine Menge erreicht.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.