BNR

NSU-Nebenklägerin: „Es wird gezielt Aufklärung verhindert“

Fünf Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU sind viele Fragen noch immer offen. Antonia von der Behrens ist Nebenklägerin im Münchener NSU-Prozess und zieht Bilanz. Ihr Urteil: An entscheidender Stelle wird die Aufklärung staatlicherseits hintertrieben.
von Robert Kiesel · 3. November 2016
NSU Prozess in München
NSU Prozess in München

Seit Beginn des NSU-Prozesses im Mai 2013 sind 570 Zeugen gehört worden, 318 Verhandlungstage liegen hinter den Verfahrensbeteiligten am Oberlandesgericht München und dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl. Antonia von der Behrens vertritt die Familie des am 6. April 2006 vom NSU in Dortmund ermordeten Mehmet Kubaşık und zieht eine verheerende Bilanz.

„NSU-Aufklärung wird gezielt verhindert“

„An vielen Stellen haben wir sogar Aufklärungsblockaden, wo relativ gezielt die Aufklärung verhindert wird“, so von der Behrens auf die Frage, inwiefern das Aufklärungsversprechen Angela Merkels an die Hinterbliebenen der vom NSU ermordeten Menschen eingelöst worden sei. Adressaten des Vorwurfs seien Bundesamt für Verfassungsschutz, mehrere Landesämter für Verfassungsschutz sowie die klageführende Bundesanwaltschaft. Letzterer wirft von der Behrens vor, sich von Prozessbeginn an auf die These eines abgeschotteten Trios Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt versteift zu haben und die von der Nebenklagevertretung geforderte Aufklärung des NSU-Netzwerks zu behindern.

Immerhin sei es der Nebenklage gelungen, die These der Bundesanwaltschaft durch Recherchen zu Netzwerkstrukturen um den NSU ins Wanken zu bringen und diese Zweifel auch medial zu vermitteln, so von der Behrens. „Das würde ich auch als unseren Erfolg sehen“, erklärt sie. Gleichzeitig kritisiert sie, dass der Nebenklage einzelne Informationen überhaupt erst nach Urteilen des Bundesgerichtshofes zugängig gemacht worden seien. Weitere Verfahren laufen.

Neuer Rechtsterrorismus in Deutschland?

Mit Blick auf die Angehörigen der vom NSU getöteten Menschen erklärt von der Behrens, die mediale Konzentration auf Beate Zschäpe und ihre ehemaligen Mitstreiter sei für die Mandanten „nur sehr schwer zu ertragen“. Die Erwartung der Angehörigen gerade hinsichtlich der quälenden Frage nach der Opferauswahl sei nach wie vor groß. „Ein Fokus auf die eigentlichen Taten, die politischen Inhalte und auf die Fragen einer staatlichen Verstrickung ist es, was sich die Mandanten wünschen“, so von der Behrens.

Nach den Lehren aus dem NSU-Terror befragt, gibt sich von der Behrens skeptisch. Problematisch sei, dass die Sicherheitsbehörden und insbesondere der Verfassungsschutz ihr Wissen über rechtsextreme und rechtsterroristische Bestrebungen horteten. Erkenntnisse über ein mögliches Wiedererstarken rechtsterroristischer Strukturen wie denen von Combat 18 verdanke die Öffentlichkeit der Arbeit lokaler Recherchegruppen, so von der Behrens. „Auch deshalb bin ich für die Zukunft leider nicht sehr optimistisch.“

Das Interview im Wortlaut:

Frau von der Behrens, im Jahr 2012 versprach Angela Merkel eine „umfassende und rückhaltlose Aufklärung“ des NSU-Terrors: Hat sie Wort gehalten?

Eine rückhaltlose Aufklärung hat es bis heute nicht gegeben. Es hat vereinzelt Aufklärung gegeben, ja, diese ist dann aber vor allem der engagierten Arbeit einzelner Untersuchungsausschüsse zu verdanken. Seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), der Landesämter und zum Teil auch der Bundesanwaltschaft ist das Aufklärungsversprechen nicht eingelöst worden. An vielen Stellen haben wir sogar Aufklärungsblockaden, wo relativ gezielt die Aufklärung verhindert wird.

Wo genau sehen Sie diese Blockaden?

Uns sind im Laufe der Zeit mehrere Fälle bekannt geworden, in denen wichtige Zeugenaussagen der Öffentlichkeit gezielt verschwiegen wurden. Teilweise haben wir überhaupt erst aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshof (BGH) die Auskunft bekommen, dass bestimmte Zeugen vernommen wurden. In diesen Fällen weigert sich die Bundesanwaltschaft aber weiterhin, Inhalte der Befragungen zu nennen. Solange uns Informationen gezielt vorenthalten werden, können wir uns über eine mögliche Zusammenarbeit zwischen dem NSU und militanten Strukturen wie jenen in Dortmund keine Klarheit verschaffen. Das ist ein großes Problem für die Mandanten, die nicht wissen, ob und wenn ja, welche potenziellen Mitwisser, Helfer und Unterstützer von damals auch heute noch aktiv sind.

Ziel der Nebenkläger im NSU-Prozess war es von Anfang an, das Netzwerk um das Trio näher zu beleuchten. Ist das gelungen?

Wir sind insofern gescheitert, als dass es uns nicht gelungen ist Netzwerke des NSU an den Tatorten gerichtsfest nachzuweisen und aufzuzeigen, dass die Unterstützer von den Taten wussten. Dieses Scheitern ist allerdings auch der frühen Festlegung auf ein abgeschottetes NSU-Kerntrio seitens der Bundesanwaltschaft geschuldet, wir können versäumte Ermittlungen nicht selber nachholen. Allerdings konnten wir zeigen und dies ist auch von Medien so aufgegriffen worden, dass die These der Bundesanwaltschaft nicht plausibel ist und es viele Indizien für eine Netzwerkstruktur gibt, die dem NSU auch bei den Taten bzw. deren Vorbereitung geholfen hat. Das würde ich auch als unseren Erfolg sehen.

Stichwort Medien: Insbesondere nach der Aussage von Beate Zschäpe glich die Berichterstattung einem „Zschäpe-Theater“. Was bedeutet das für Ihre Mandanten?

Das ist für die Mandanten nur sehr schwer zu ertragen. Die Erwartung der Angehörigen gerade hinsichtlich der quälenden Frage nach der Opferauswahl war und ist groß. Auch wenn sie wussten, dass es kaum eine Chance auf ehrliche Antworten gibt. Ihre Enttäuschung wurde verstärkt durch den extremen Fokus der Medien auf die Person Beate Zschäpe. Ein Fokus auf die eigentlichen Taten, die politischen Inhalte und auf die Fragen einer staatlichen Verstrickung ist es, was sich die Mandanten wünschen.

Zwölf Untersuchungsausschüsse haben sich dem NSU-Terror gewidmet, aktuell laufen noch sieben. Wie groß ist ihre Hoffnung auf neue Erkenntnisse? 

Eine schwierige Frage, einfach weil die einzelnen Ausschüsse sehr unterschiedlich arbeiten und viel von den Obleuten anhängt. Gerade durch den II. Ausschuss im Bundestag sind wichtige Informationen bekannt geworden, wie beispielsweise die Gründe für die Aktenvernichtung im BfV am 11. November 2011.

Welche Fragen sind noch offen?

Der Fokus sollte weiter auf das BfV und das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz gerichtet werden. Wir gehen davon aus, dass es in beiden Ämtern weitere Informationen zum Trio gibt. Dass es weitere V-Leute gibt, die dicht am Trio waren, von denen wir aber noch nichts wissen. Das Gleiche gilt für den Bund. Da sind noch viele Fragen offen.

Angesichts des aktuellen Rechtsrucks in Deutschland: Wie wahrscheinlich ist ein zweiter NSU und wie gut sind die Sicherheitsbehörden aufgestellt?

Wir haben das große Problem nicht zu wissen, was die Behörden über den NSU wussten. Sicher ist nur, dass ihr Wissen sehr viel größer war als das, was wir auf den Tisch bekommen. Es gab erst im Juni eine Demonstration von Neonazis in Dortmund, an der hochrangige Combat 18-Kämpfer (Combat 18 ist der bewaffnete Arm des im Jahr 2000 verbotenen Blood and Honour-Netzwerks, Anm. d. Redaktion) aus Deutschland und den Nachbarländern gesichtet worden. Man kann also ziemlich sicher davon ausgehen, dass die Demonstration Anlass war für ein Treffen von Kadern dieser Organisation. Allein dieses öffentliche Treffen zeigt das derzeitige Selbstbewusstsein in der militanten Szene. Dass dieses Treffen bekannt geworden ist, haben wir nicht Polizei oder Verfassungsschutz zu verdanken, sondern Recherchegruppen vor Ort. Auch deshalb bin ich für die Zukunft leider nicht sehr optimistisch.

Schlagwörter
Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare