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„Nazi zu werden war eine Form des Aufbegehrens“

Von 2005 bis 2011 gehörte Christian Weißgerber der rechten Szene in Thüringen an. Heute blickt er mit Schrecken auf die damalige Zeit und klärt als Bildungsreferent über die rechte Szene auf.
von Jonas Jordan · 9. Oktober 2018
Christian Weißgerber
Christian Weißgerber

2005 sind Sie in Eisenach in die rechte Szene eingestiegen. Wie kam es dazu?

In meiner Familie wurde viel Gewalt angewendet. Ich wurde unterdrückt. Nazi zu werden, war für mich eine Form des Aufbegehrens. Es gab eine bestimmte Form von Familienpolitik, die mich dort begeistert hat. Ich habe sehr naiv an dieses Bild geglaubt und nicht gesehen, dass bei den Nazis nur bevölkerungspolitische Überlegungen dahinter standen. Es ging nicht darum, die Familie zu schützen, sondern eine Art Legebatterie für zukünftige Soldaten aufzubauen.

Wie Sind Sie mit Menschen aus der rechten Szene in Kontakt gekommen?

Eine Klassenkameradin hatte Kontakt zu jemandem aus der rechten Szene. Über sie bin ich an meinen zukünftigen Mentor herangekommen. Er hat mich in die Kreise in Eisenach eingeführt, mir entsprechende Bücher gegeben und mich mit auf Konzerte genommen.

Wie haben Sie erreicht, in der rechten Szene akzeptiert zu werden?

Derjenige, der mich in die Szene eingeführt hat, spielte bei „Garde 18“, einer Thüringer Rechtsrockband. Die hatte ein gewisses Standing, weil zu dieser Zeit ein Gerichtsprozess gegen sie lief. Außerdem war ich als einer der wenigen am Gymnasium. Ich konnte gut geradeaus reden und bin nicht der unsympathischste Mensch. Das haben die Leute gemerkt. Und so hat es ausgereicht, vermeintlich intellektuell zu sein und bei der ersten Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz nicht einzuknicken

Wie sah diese Auseinandersetzung aus?

Ich habe bei mir zu Hause öfter mal Feiern gemacht, bei denen einschlägige Lieder gespielt wurden und recht laut „Sieg Heil“ gerufen wurde. Einmal kam die Polizei vorbei, als Mitglieder von „Garde 18“ anwesend waren. Zwei Tage später stand ein Mann vom Thüringer Verfassungsschutz auf der Matte und hat mich befragt. Ich habe alles geleugnet. Deswegen sind wir alle ohne Strafe rausgekommen.

2007 haben Sie eine eigene Jugendorganisation gegründet, in der Sie sich deutlich vom bekannten Bild des betrunkenen, prügelnden Neonazis abgegrenzt haben. Wie kam es dazu?

Das hat sich entwickelt. Am Anfang war ich offen rassistisch und vom historischen Nationalsozialismus überzeugt. Wir haben Filme über Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß geschaut und uns in Texten inhaltlich eindeutig präsentiert. Zwischen 2008 und 2010 habe ich als Teil der autonomen nationalistischen Szene mit Konsumverzicht begonnen und die Gruppe daraufhin verlassen. Das bedeutete kein Alkohol, kein Nikotin, kein Koffein. Wir wurden damals militante Veganer und haben uns den Lifestyle linker Gruppierungen angeeignet.

Wie haben Sie sich innerhalb der rechten Szene positioniert?

Wir waren 30 bis 35 Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren aus Eisenach und der Umgebung. Schon in der Jugendorganisation haben wir uns bewusst von den Jungen Nationaldemokraten, der Jugendorganisation der NPD, abgegrenzt. Bei den autonomen Nationalisten steigerte sich diese Ablehnung zum völligen Boykott. NPD-Funktionäre galten bei uns als „Parteibonzen, die sich mit dem System einlassen“.

Gleichzeitig hatten Sie aber auch Kontakt zu NPD-Funktionären.   

Genau, aus strategischen Gründen. Ralf Wohlleben war während meiner Zeit in Jena ein sehr guter Freund von mir. Er war strategischer NPDler, weil er wusste, dass er einfacher an Gelder kommen und Demonstrationen anmelden kann, wenn er das über die Partei macht. Die Aktionen konnten dann nicht so leicht verboten werden. Das haben wir als autonome Nationalisten häufig ausgenutzt.

War Wohllebens Rolle als Unterstützer des NSU in der Szene bekannt?

Dass Ralf Wohlleben involviert war, hätte ich nicht gedacht. Er hatte eine sehr gute Tarnung mit einem bürgerlichen Leben, seiner Frau und zwei kleinen Kindern. Ich war enttäuscht, dass er solche Aktionen gemacht hat. Es war nicht so, dass wir Gewalt als politisches Mittel abgelehnt hätten, aber nicht gegen Personen. Wir haben eher Zeitungshäuser angegriffen, wenn sie schlecht über uns berichtet haben.

Wie lief so etwas ab?

Wir haben nachts einer Thüringer Zeitung die Scheiben eingeschmissen. Sachbeschädigung war für uns kein Problem, Gewalt gegen Einzelsubjekte schon, aus strategischen Überlegungen.

Eine Strategie, die an die Identitären erinnert, eine rechtsextreme Gruppierung, die in jüngster Zeit vermehrt auftritt.

Sie haben das zum Teil übernommen. Ihren Mitgliedern empfehlen sie, nicht aggressiv zu werden, wenn sie auf der Straße angefeindet werden, sondern ruhig und vermeintlich sachlich zu argumentieren. Das haben wir auch schon gesagt. Wir haben fast alle Sachen gemacht, die jetzt bei den Identitären beliebt sind. Wir haben mit Götz Kubitschek und Jürgen Elsässer zusammengearbeitet. Denen haben wir ein Standing gegeben. Bei anderen Demos durften sie nicht mitlaufen. Wir waren für sie ein sicherer Hafen. Wir haben uns bei den autonomen Nationalisten als Elite einer neuen national-revolutionären Bewegung gesehen, so wie es die Identitären heute tun. Viele Leute, die damals mit mir bei den autonomen Nationalisten waren, sind heute auch in hohen Positionen bei den Identitären aktiv.

Erschreckt es Sie, diesen Leuten den Nährboden bereitet zu haben?

Auf jeden Fall. Das ist einer der Gründe, wieso ich Aufklärungsarbeit betreibe. Es könnte mir egal sein. Ich könnte versuchen, mir eine bürgerliche Existenz aufzubauen, aber das geht nicht. Das wäre in höchstem Maße verwerflich. Dorian S., der heute im Identitären-Haus in Halle wohnt, war damals ein sehr guter Freund von mir.

Wann haben Sie den Entschluss gefasst, aus der Szene auszusteigen?

Durch den eigenen elitären Anspruch haben wir uns weit von den typischen Skinhead-Gruppen entfernt. In dieser Zeit habe ich online freundschaftliche Kontakte zu Antifa-Mitgliedern geknüpft. Deren inhaltliche Argumentation hat mir irgendwann eingeleuchtet. Dagegen haben mir das fragwürdige Menschenbild und die verkürzte Kapitalismuskritik der alten und neuen Nazis nicht mehr ausgereicht. Unter anderem deswegen habe ich mich aus der Szene zurückgezogen. Nach einem Jahr habe ich gemerkt, dass mir die Leute das nicht abkaufen. Darum habe ich mich 2011 an eine Aussteigerorganisation gewandt. Ende 2011 habe ich mich in einem TV-Interview von der Szene distanziert.

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Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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