BNR

Lübcke-Prozess: Welche Rolle spielte der Mitangeklagte Markus H.?

Der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke hat seinen Mitangeklagten Markus H. der Mittäterschaft beschuldigt. Doch im Prozess vor dem Frankfurter Oberlandesgericht wirkt der Neonazi geradezu entspannt – und hat bislang auch allen Grund dazu.
von Joachim F. Tornau · 3. September 2020
Schweigt bisher konsequent: der Mitangeklagte im Lübcke-Prozess Markus H.
Schweigt bisher konsequent: der Mitangeklagte im Lübcke-Prozess Markus H.

Stephan E. im Gerichtssaal zu beobachten, kann schnell eintönig werden. Fast unbewegt sitzt der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke da, Verhandlungstag für Verhandlungstag, die Hände vor sich auf dem Tisch übereinandergelegt, den Blick ins Ungefähre gerichtet. Selbst als in dieser Woche seine Ehefrau als Zeugin vor dem Frankfurter Oberlandesgericht auftrat, zeigte der 46-Jährige keinerlei Gefühlsregung. Und als ihm sein dieser Tage ebenfalls als Zeuge gehörter bester Freund zum Abschied fast fröhlich zuwinkte, da machte der Kasseler Rechtsextreme nur eine unwirsche Handbewegung.

Der Mitangeklage schweigt konsequent

Ganz anders dagegen präsentiert sich der Mann, der zwei Reihen vor ihm sitzt und den die Bundesanwaltschaft wegen Beihilfe angeklagt hat: Markus H. sieht immer ein wenig so aus, als würde er feixen, gelegentlich scherzt er mit seiner Verteidigung. Aufmerksam hört er zu, macht sich Notizen, schaut den Zeug*innen direkt ins Gesicht. Der langjährige Freund und Neonazi-Kamerad von Stephan E. wirkt tiefenentspannt, obwohl auch ihm im Falle einer Verurteilung eine lange Gefängnisstrafe droht. Mit jeder Faser seines Körpers strahlt der 44-Jährige aus: Mir kann hier keiner was. Und bislang scheint er damit nicht gar so falsch zu liegen, trotz des aktuellen Geständnisses von Stephan E., in dem er von ihm der Mittäterschaft bezichtigt wurde.

Anders als der Hauptangeklagte, der im Ermittlungsverfahren zwei gegensätzliche Geständnisse ablegte und dann vor Gericht über mehrere Verhandlungstage hinweg eine weitere, nicht eben widerspruchsfreie Version ablieferte, schweigt Markus H. konsequent. Am Donnerstag unternahm der 5. Strafsenat nun einen Versuch, sozusagen über Bande zu erfahren, was Markus H. über den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten zu sagen hat. Vernommen wurden zwei Mitgefangene aus der Untersuchungshaft, denen er über Wochen und Monate hinweg immer mal wieder etwas erzählt haben soll. Einer der beiden hatte in einem abgefangenen Brief an seine Frau sogar vollmundig behauptet: „Beim Duschen hat er mir gegenüber alles gestanden.“ Doch das erwies sich schnell als reichlich dick aufgetragen.

Kein Zweifel über die rechtsextreme Gesinnung H.s

Eingeräumt hat Markus H., wenn man den Angaben der Mithäftlinge glauben darf, demnach nur, dass er Stephan E. die Tatwaffe beschafft hat – was jedoch so lange vor der Tat war, dass ihm daraus schon kein Vorwurf mehr gemacht wird. Aber: Der Neonazi machte sich offenbar Sorgen. Dass seine DNA im Auto von Stephan E. gefunden werden könnte. Dass der vormalige Freund ihn bei den Ermittlern anschwärzen könnte. Zu Recht oder zu Unrecht? Das vermochten die Knastbekannten nicht einzuschätzen. „Er hat immer gesagt, dass er unschuldig ist“, sagte einer der beiden. Aber das würden in der Untersuchungshaft ja 90 Prozent von sich behaupten.

Keine Illusionen machten sich die beiden Männer, beide mit Migrationsgeschichte, hingegen über die rechtsextreme Gesinnung ihres Gesprächspartners. „Er ist voll Hass“, gab der Jüngere zu Protokoll. „Gegen Ausländer vor allem.“ Das sei unübersehbar gewesen, auch wenn sie eigentlich nicht über Politik gesprochen hätten. Ähnliches hatte bereits am Dienstag auch Stephan E.s bester Freund, ein 35 Jahre alter Arbeitskollege, in seiner Vernehmung berichtet. Bei einem Treffen im Schützenverein, dem er genauso wie die beiden Angeklagten angehörte, habe er einen bemerkenswerten Satz von Markus H. aufgeschnappt: Bestimmten Leuten würde er „am liebsten eine Kugel in den Kopf verpassen“. Und dann, nachgeschoben an die Adresse des aus dem Iran stammenden Freunds: „damit solche wie du nicht hierher kommen“.

Mit der Frau nie über Politik gesprochen

Über seinen Freund Stephan E. wusste der 35-Jährige nur lobende Worte zu sagen: „Wie ein großer Bruder“ sei der für ihn gewesen, unterstützend und verlässlich; bis heute könne er nicht glauben, dass er ein Mörder sein solle. Nicht einmal für einen Rechten oder Neonazi möchte er den Freund halten: „Unsere Meinung ist im Prinzip dieselbe, politisch.“ Sie seien sich einig gewesen, dass Deutschland zu viele Geflüchtete aufnehme, hätten sogar einmal zusammen eine Kundgebung des Kasseler Ablegers der rassistischen Pegida-Bewegung besucht. Aber rechts? Nein, das will er als Beschreibung nur für Markus H. gelten lassen.

Doch immerhin konnte er Markus H. beschreiben. Die Ehefrau von Stephan E. konnte das nicht. Bis zur Festnahme ihres Mannes, sagte die 44-Jährige am Dienstag, habe sie nie einen seiner Freunde kennengelernt. Auch Markus H. nicht. Und auch über Politik habe sie mit dem Mann, mit dem sie seit fast 20 Jahren verheiratet ist und mit dem sie zwei Kinder hat, nicht gesprochen. Gerne hätte man mehr erfahren über diese Ehe, darüber, was die russlandstämmige Anhängerin der Zeugen Jehovas mit dem fanatischen Rechtsextremen verband. Doch sobald Fragen in diese Richtung gingen, berief sich die Frau auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Angehörige.

Denn eigentlich waren es nur zwei Dinge, die sie loswerden wollte: dass sie in der Tatnacht zwei Autos vor ihrem Haus habe ankommen hören – was die Darstellung ihres Mannes stützen könnte, dass er Markus H. nach dem Mord ein auf diesen eingetragenes Gewehr zurückgegeben habe. Und dass Stephan E.s erster Anwalt, der NPD-Aktivist Dirk Waldschmidt, ihr finanzielle Hilfe von „Kameraden“ in Aussicht gestellt habe – was so ähnlich auch ihr Mann erklärt hatte, ergänzt allerdings um die Bedingung, dass Stephan E. die Tat dann alleine auf sich nehmen müsse. Was er in seinem ersten, später widerrufenen Geständnis auch getan hatte.

Der Prozess wird am Montag fortgesetzt. Dann soll unter anderem Rechtsanwalt Waldschmidt zum Zustandekommen dieses ersten Geständnisses befragt werden.

Autor*in
Joachim F. Tornau

arbeitet als freier Journalist in Kassel und Hamburg. Einer seiner Schwerpunkte ist dabei die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare