Lübcke-Prozess: Verteidigung will Freispruch für den Mitangeklagten
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Lange hatten sie sich zurückgehalten. Björn Clemens und Nicole Schneiders, die im Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke den Mitangeklagten Markus H. verteidigen, sind bekannte Szene-Anwälte. Beide vertreten nicht nur regelmäßig Rechtsextreme vor Gericht, sie sind auch selbst fest in der Szene verankert. Dennoch ließen sie ihre Gesinnung in der seit mehr als sieben Monaten andauernden Verhandlung vor dem Frankfurter Oberlandesgericht nur selten durchblicken. Bis zu diesem Dienstag, dem 44. und vorletzten Verhandlungstag. Da hielten sie ihre Schlussvorträge und offenbarten tiefe Einblicke in ihr Weltbild.
Keine Schuld, nirgends
Wortreich beklagte Clemens staatliche „Stimmungsmache gegen Patrioten“, beschwerte sich über „vorsätzlichen Rechtsbruch“ beim Kampf gegen Rechts und unterstellte eine perfide Beeinflussung des Lübcke-Prozesses durch voreingenommene Medien: „Diese Leute arbeiten ja unterschwellig.“ Schneiders schwadronierte über „Volkstod“ und „Umvolkung“, über die Gefahr eines Bürgerkriegs und über das grundgesetzlich garantierte „Notwehrrecht“ aller Deutschen. „Populistisch“, belehrte die Anwältin die Verfahrensbeteiligten, bedeute nichts anderes als „volksgemäß“. Gemeint war, natürlich, rechtspopulistisch.
Für ihren Mandanten forderte die Verteidigung Freispruch in allen Anklagepunkten. Es gebe keinerlei Beweise – nicht für die „psychische Beihilfe“, die die Bundesanwaltschaft dem 44-Jährigen vorwirft, und erst recht nicht für die vom Hauptangeklagten Stephan E. behauptete Mittäterschaft, an die auch die Familie des getöteten CDU-Politikers glaubt. Keine Schuld, nirgends. Nicht einmal eine moralische Verantwortung des Rechtsextremen, der Walter Lübcke durch einen berühmt gewordenen Videoschnipsel von einer Bürgerversammlung in Lohfelden zum Feindbild von Rechten im ganzen Land gemacht hatte, wollten sie einräumen. „Er hat nichts zu bereuen“, sagte Clemens. „Er sitzt hier zu Unrecht.“
Die Verteidigung fordert Haftentschädigung
Markus H. sprachen die Anwälte jedes Wissen von der Tat ebenso ab wie jeden negativen Einfluss auf Stephan E. Während sie zu Prozessbeginn noch versucht hatten, den Anschlag auf den Regierungspräsidenten als unpolitische Tat eines psychisch labilen Mannes zu deklarieren, erklärten sie Stephan E. nun zum rechtsextremen Überzeugungstäter, der nie aus der Szene ausgestiegen sei und deshalb zu seiner Radikalisierung niemanden mehr gebraucht habe. Schon gar nicht Markus H., dem, wie Clemens sagte, im Gegenteil das „Musterbeispiel einer ganz legalen Lebensführung“ zu bescheinigen sei.
Zweifel am Beihilfevorwurf gegen den Mitangeklagten hat allerdings auch das Gericht bereits angemeldet. Im Oktober entließ es Markus H. aus der Untersuchungshaft, weil es keinen dringenden Tatverdacht mehr sah. Wie der Senat damals die Glaubhaftigkeit der Angaben von Stephan E. eingeschätzt hat, als äußerst gering nämlich, ist für die Verteidigung von Markus H., wenig überraschend, noch immer richtig.
Doch auch beim zweiten, weitaus weniger erheblichen Anklagevorwurf gegen ihren Mandanten plädierten sie auf Freispruch: Markus H. habe nicht wissen können, dass eine von ihm als „Dekowaffe“ besessene Maschinenpistole nur unzureichend unbrauchbar gemacht gewesen sei. „Verbotsirrtum“ nennt sich das in der Sprache der Justiz. Markus H., so Clemens und Schneiders, sei damit für die gesamte 15-monatige Untersuchungshaft zu entschädigen.
Die letzten Worte der Angeklagten
Die Bundesanwaltschaft hat für Markus H. insgesamt neun Jahre und acht Monate Gefängnis verlangt, der Anwalt der als Nebenklägerin auftretenden Familie Lübcke sogar lebenslang. Am Donnerstag soll das Urteil verkündet werden.
Vorher stand beiden Angeklagten aber noch das Recht des letzten Wortes zu. Und beide präsentierten sich dabei im Kleinen noch einmal so, wie sie es im Großen auch zuvor an den nun 44 Verhandlungstagen getan hatten. Markus H., der, häufig grinsend, fast durchgängig geschwiegen und nur bei der Erörterung des Waffendelikts seine Fachkenntnisse durch Fragen zur Schau gestellt hatte, schloss sich seinen Anwälten an und stichelte: Es sei ja schon viel gesagt worden in diesem Prozess, „nicht alles hat zur Aufklärung beigetragen“.
Stephan E. dagegen, wie immer um das Bild des reuigen und nur der Wahrheit verpflichteten Aufklärers bemüht, entschuldigte sich erneut bei den Angehörigen von Walter Lübcke: Es tut ihm sehr leid, was er ihnen angetan habe. „Ich bereue sehr, dass ich bereit war, mit Gewalt gegen einen Menschen vorzugehen.“ Und er nutzte schlau die gerade gehörten Plädoyers, um seine Entschlossenheit zu bekräftigen, sich mit Hilfe eines Aussteigerprogramms von der rechtsextremen Ideologie zu lösen: Was Rechtsanwältin Schneiders über „Umvolkung“ gesagt habe, sei genau das Denken, von dem er endlich wegkommen wolle.
Im Gerichtssaal blieb das der einzige Kommentar zur Politpropaganda von Björn Clemens und Nicole Schneiders. Draußen aber meldete sich dann noch Dirk Metz zu Wort, der Sprecher der Familie Lübcke. „Schwer erträglich“ sei es gewesen, diese Schlussvorträge zu erleben. „Sie waren im Stil unangemessen und in der Sache fehlerhaft“, sagte der einstige hessische Regierungssprecher. „Jedoch spürt die Familie, dass die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger an ihrer Seite ist und dass der freiheitliche Staat am Ende stärker ist als diejenigen, die ihn und seine Repräsentanten bekämpfen.“
arbeitet als freier Journalist in Kassel und Hamburg. Einer seiner Schwerpunkte ist dabei die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten.