Lübcke-Prozess: Gericht will Urteil Anfang Dezember verkünden
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Thomas Sagebiel, der Vorsitzende des Staatsschutzsenats, der am Frankfurter Oberlandesgericht über den Mord an Walter Lübcke zu befinden hat, ist um klare Worte nie verlegen. In den nun 26 Verhandlungstagen haben fast alle Verfahrensbeteiligten irgendwann seinen kaum gezügelten Unmut abbekommen. Wenn ihm wieder einmal alles zu langsam geht. Wenn Scharmützel ausgefochten werden, die er für überflüssig hält. Wenn alle außer ihm zu schwer von Begriff sind. Selbst die Richterbank ist vor seinen Ausbrüchen nicht gefeit.
Doch die Eskalationsstufe, die Sagebiels Zorn am Dienstag erreichte, war neu: Weil der erneut als Zeuge geladene Rechtsanwalt Dirk Waldschmidt, erster Verteidiger des Hauptangeklagten Stephan E., seinen Zeugenbeistand zu hartnäckig über die Grenzen der Aussageberechtigung diskutieren ließ, drohte Sagebiel ihm kurzerhand mit Gefängnis. „Herr Waldschmidt“, sagte der streitbare Richter, „hat jetzt die Wahl, ob er aussagen will oder wir ihn in Beugehaft nehmen“. Bis zu sechs Monate oder bis zum Ende des Verfahrens. Der Anwalt zog es dann doch vor, Angaben zu machen.
Ein neuer Versuch der Wahrheitsfindung
Anfang September war der langjährige NPD-Funktionär und Szeneanwalt schon einmal als Zeuge geladen gewesen. Es ging darum, ob er seinem damaligen Mandanten Stephan E. dazu geraten habe, in seinem ersten Geständnis kurz nach der Festnahme alle Schuld auf sich zu nehmen und den jetzigen Mitangeklagten Markus H. herauszuhalten – und ob er ihm als Gegenleistung finanzielle Unterstützung aus der rechten Szene zugesagt habe. Stephan E. hat das behauptet, Waldschmidt bestritt es entschieden. Seine Vernehmung hatte damals jedoch abgebrochen werden müssen, weil es keine Schweigepflichtentbindung durch die Ehefrau von Stephan E. gab. Auch ihr, so hat sie vor Gericht erklärt, soll er Unterstützung aus dem Kreis der Kameraden in Aussicht gestellt und sinngemäß gesagt haben, sie möge sich keine Sorgen ums Geld machen.
Deshalb jetzt, nach der etwas ruppigen Klärung der Frage, ob die mittlerweile vorliegende Entbindungserklärung der Gattin ausreicht, ein neuer Versuch der Wahrheitsfindung. Wenig überraschend blieb Waldschmidt bei seiner Darstellung: kein Fehlverhalten, nirgends. Ja, er habe Frau E. in verschiedenen Zusammenhängen gesagt, sie müsse sich keine Sorgen machen. Aber um Hilfe aus der Szene sei es nie gegangen. Ein Thema, das ohnehin nicht er aufgebracht habe: „Herr E. hat mich gebeten, dass ich Kontakt zu irgendwelchen Gefangenenhilfsorganisationen aufnehmen soll.“
Keine Unterstützungsleistungen für Stephan E. von rechts
Glaubt man Waldschmidt, dann hoffte der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten auf einen Rückhalt in der extremen Rechten, wie ihn der NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben während des Münchner Prozesses um den Rechtsterror des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ erfahren hat. Ein Zahn, den er ihm indes sogleich gezogen habe: „Ich habe ihm gesagt, er solle sich mal anschauen, wer Wohlleben ist und wer er ist.“ Ein kleines Licht, sollte das wohl heißen, im Vergleich zu einem gefeierten Star der Szene.
Jedenfalls: Zu keinem Zeitpunkt will sich Waldschmidt um Unterstützungsleistungen für Stephan E. und seine Familie bemüht haben. Aber der Rechtsaußenanwalt hätte es wohl gekonnt, das klang durch – auch wenn er auffallend schmallippig wurde, als er nach braunen Unterstützungsnetzwerken gefragt wurde. Da gebe es wohl so „eine Organisation, die nationale Gefangene unterstützt“, sagte er, aber wenn ihn ein rechter Mandant um Hilfe angehe, könne er ihm das „nicht ohne Weiteres zusagen“, da müsse er sich „erst umhören“.
Über Waldschmidt schwebt wegen der Vorwürfe von Stephan E. ein Ermittlungsverfahren, eingeleitet ironischerweise aufgrund einer Strafanzeige seines inzwischen ebenfalls geschassten Verteidigernachfolgers Frank Hannig, der heute selbst unter Verdacht steht, ein Geständnis von Stephan E. manipuliert zu haben. Dass seine Zeugenaussage vor diesem Hintergrund nicht allzu ertragreich sein würde, war zu erwarten. Doch auch die beiden weiteren Zeuginnen, die das Gericht an diesem Verhandlungstag anhörte, konnten zur Aufklärung des Mordes an Walter Lübcke wenig beitragen.
Ein Alibi per Whatsapp?
Eine Frau aus Magdeburg, der der Mitangeklagte Markus H. just zur Tatzeit eine Whatsapp-Nachricht geschickt haben soll, bestätigte zwar, mit dem 44-Jährigen regelmäßig gechattet zu haben. An den kryptischen Dialog, der, wenn er an jenem Abend des 1. Juni 2019 tatsächlich von Markus H. geführt worden wäre, als Alibi dienen könnte, konnte sie sich jedoch nicht erinnern. Und erklären, was er bedeuten könnte, erst recht nicht: „Ist die mature eigent unterwegs?“ – „ Huhu bin noch bei freunden uffe.“
Eine Schwiegertochter Walter Lübckes berichtete, am Abend des Mordes außer einem Geräusch, das, wie sie heute weiß, der tödliche Schuss gewesen sein dürfte, nichts gehört zu haben. Vor allem: kein Streitgespräch zwischen ihrem Schwiegervater und seinem Angreifer – oder seinen Angreifern, wenn der Mitangeklagte Markus H. doch dabei gewesen sein sollte. Sie habe sich allerdings in einem Teil des Hauses aufgehalten, der maximal weit von der Terrasse entfernt sei: „Weiter weg von dem Tatort hätte ich mich im Haus nicht befinden können.“ Der Erkenntniswert auch hier also: gering.
Und das Gericht scheint davon auszugehen, dass das bei weiteren Zeugenbefragungen nicht mehr viel anders wird. Der Senat strebt deshalb an, schon Anfang Dezember ein Urteil zu verkünden. Ein ehrgeiziger Plan. Damit er nicht an späten Beweisanträgen scheitert, mahnte Richter Sagebiel die Verteidigung am Dienstag nachdrücklich zur Eile: Spätestens in der kommenden Woche mögen sie bitte beantragen, was sie noch zu beantragen hätten.
arbeitet als freier Journalist in Kassel und Hamburg. Einer seiner Schwerpunkte ist dabei die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten.