Lübcke-Attentäter: Wie die Verteidigung lebenslange Haft verhindern will
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Wenn es nach Mustafa Kaplan und Jörg Hardies geht, dann soll der Mann, der zugegeben hat, Walter Lübcke erschossen zu haben, spätestens nach 15 Jahren Gefängnis wieder in Freiheit sein. Allerspätestens. Nicht als Mord, sondern lediglich als Totschlag sei der Anschlag auf den CDU-Politiker zu werten, erklärten die Verteidiger von Stephan E. am Donnerstag in ihrem Schlussvortrag vor dem Frankfurter Oberlandesgericht. Ohne ein konkretes Strafmaß zu nennen, forderten sie eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe – „verhältnismäßig, aber annehmbar“. Möglich wären laut Gesetz zwischen fünf und 15 Jahren.
Für die von der Bundesanwaltschaft verlangte Sicherungsverwahrung im Anschluss an die Haft sehen die Anwälte keine Grundlage. Dafür reiche das Attentat allein nicht aus. Und vom zweiten Tatvorwurf, der rassistischen Messerattacke auf den jungen Iraker Ahmed I., müsse ihr Mandant mangels Beweisen freigesprochen werden.
Steilvorlage der Nebenklage
Der Mühe einer Beweiswürdigung unterzog sich Kaplan in seinem Part des Plädoyers gar nicht erst. Er verwertete die Steilvorlage, die Nebenklagevertreter Holger Matt mit seinem Schlussvortrag in der vergangenen Woche geliefert hatte. In äußerster Detailliertheit hatte der Anwalt der Familie Lübcke dargelegt, warum er an die von Stephan E. vor Gericht behauptete Mittäterschaft seines langjährigen Freundes und jetzigen Mitangeklagten Markus H. glaubt – und warum er ihm auch die bekundete Reue abnimmt. Matt habe „exzellent herausgearbeitet“, dass die von der Bundesanwaltschaft vertretene Einzeltäterthese falsch sei, lobte Kaplan. „Die Ausführungen glichen einer wissenschaftlich fundierten Arbeit.“
Ihr Mandant, beteuerte der Anwalt nicht frei von Pathos, habe den Angehörigen des getöteten Regierungspräsidenten „die Wahrheit“ versprochen. Er habe dieses Versprechen gehalten und werde es, wann immer die Familie noch etwas von ihm wissen wolle, auch in Zukunft tun. „Diese Zusage ist zeitlich unbefristet und unwiderruflich.“ Und allein um diese Wahrheit gehe es dem Angeklagten, wenn er seinen langjährigen Neonazi-Kameraden schwer beschuldige. „Weder Herr E. noch seine Verteidiger haben ein persönliches Interesse daran, dass Herr H. verurteilt oder freigesprochen wird.“ Doch ganz stimmt das nicht. Bei der rechtlichen Bewertung der Tat vom 1. Juni 2019 nämlich endete Kaplans Gefolgschaft für den Kollegen von der Gegenseite. Wie die Bundesanwaltschaft hatte Matt lebenslange Haft wegen heimtückischen Mordes aus niedrigen Beweggründen beantragt.
Der „Irrglaube“ des Attentäters
Kaplan argumentierte nun: Das Mordmerkmal Heimtücke liege nicht vor, weil der Politiker seine Angreifer gesehen habe – und damit nicht arglos gewesen sei. Das kann indes allenfalls dann stimmen, wenn sich das Geschehen auf der Terrasse von Lübckes Haus in Wolfhagen-Istha so dynamisch abgespielt hat, wie von Stephan E. im Prozess dargestellt. Und dafür braucht es Markus H. als Mittäter.
Noch gewagter war Kaplans Versuch, das zweite Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe wegzudiskutieren. Der Angeklagte, sagte er, habe kein „egoistisches Motiv“ verfolgt, wie es für niedrige Beweggründe typisch sei. Aufgestachelt von der rechten Hetze, die den flüchtlingsfreundlichen Regierungspräsidenten für jede kriminelle Handlung von Ausländern oder Muslimen verantwortlich gemacht habe, sei die Tötung Walter Lübckes für ihn vielmehr zu einem politischen Ziel geworden. „So absurd und falsch es auch klingt: Er war im Irrglauben, damit im Interesse der Allgemeinheit zu handeln.“ Dass ein politisches Mordmotiv nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich als niedriger Beweggrund gilt, erwähnte Kaplan nicht.
Verteidiger spricht von „Unverfrorenheit“
Dem zweiten Tatvorwurf widmete sich Co-Verteidiger Hardies. Am 6. Januar 2016 war Ahmed I., kurz zuvor aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet, auf offener Straße in Lohfelden bei Kassel von einem Fahrradfahrer niedergestochen worden. Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt, dass Stephan E. auch hier der Täter war, und macht das insbesondere an DNA-Spuren fest, die auf einem bei ihm gefundenen Klappmesser festgestellt wurden. Diese Spuren passen zum Opfer, waren aber zu schwach für eine eindeutige Zuordnung.
Dass ein Gutachter ihnen trotzdem einen gewissen Aussagewert beimaß, verleitete Hardies zu scharfen Worten. Von „Unverfrorenheit“ sprach er und einem „unwissenschaftlichen Gutachten“. Darauf eine Verurteilung zu stützen, sei „völlig ausgeschlossen“. Ahmed I.s Anwalt Alexander Hoffmann, der als Nebenklagevertreter wie die Bundesanwaltschaft eine solche Verurteilung gefordert hatte, warf er gar eine „politisch linksmotivierte Hasspredigt“ vor.
Urteil in einer Woche geplant
Ähnlich frontal war zuvor Mustafa Kaplan die Bundesanwaltschaft angegangen. Harsch kritisierte er, dass Oberstaatsanwalt Dieter Killmer in den ausführlichen und auch vor Gericht nicht eben widerspruchsfreien Einlassungen von Stephan E. keinen Aufklärungswillen und keine Reue erkennen wollte, sondern nur Prozesstaktik. Und er machte die Anklagebehörde sogar mitverantwortlich für die widersprüchlichen und zumindest teilweise falschen Geständnisse, die Stephan E. – auf Betreiben seiner früheren Verteidiger Dirk Waldschmidt und Frank Hannig, wie sich Kaplan überzeugt gab – im Ermittlungsverfahren abgelegt hatte. Schließlich habe die Bundesanwaltschaft den beiden Szene-Anwälten den Weg zur zeitweiligen Vertretung des rechtsextremen Kasselers gebahnt, obwohl der selbst gar nicht darum gebeten habe. „Die Bundesanwaltschaft hat also ihren Anteil am Geständniswirrwarr.“
Der Prozess soll am Dienstag mit den Plädoyers der Verteidigung von Markus H. fortgesetzt werden. Das Urteil ist für den 28. Januar geplant.
arbeitet als freier Journalist in Kassel und Hamburg. Einer seiner Schwerpunkte ist dabei die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten.